Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
DUNKLE GEHEIMNISSE DER WISSENSCHAFT - "Die Physiker" von Friedrich Dürrenmatt mit dem Theater Thespiskarren in Bietigheim-BissingenDUNKLE GEHEIMNISSE DER WISSENSCHAFT - "Die Physiker" von Friedrich...DUNKLE GEHEIMNISSE DER...

DUNKLE GEHEIMNISSE DER WISSENSCHAFT - "Die Physiker" von Friedrich Dürrenmatt mit dem Theater Thespiskarren in Bietigheim-Bissingen

am 15.2.2023 im Kronenzentrum/BIETIGHEIM-BISSINGEN

"Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden", sagt der Irrenhaus-Patient Johann Wilhelm Möbius in Friedrich Dürrenmatts berühmter Komödie "Die Physiker". In der Regie von Herbert Olschok und in der Ausstattung von Alexander Martynow konzentriert sich die Handlung ganz auf die handelnden Protagonisten.

 

Copyright: Loredana La Rocca

In dem Schweizer Sanatorium Les Cerisiers werden zwei Krankenschwestern ermordet. Der Blick fällt sofort auf zwei verdächtige Patienten: Der eine ist Ernst Heinrich Ernesti, der sich für Albert Einstein hält - und der andere ist Herbert Georg Beutler, der glaubt, dass er Sir Isaac Newton sei. Der dritte im Bunde dieser skurrilen Patienten heißt Johann Wilhelm Möbius, der von Visionen von König Salomo heimgesucht wird: "Ich bin der arme König Salomo."

Sehr gut kommt bei dieser Aufführung zum Vorschein, dass Möbius hier eine zentrale Stellung einnimmt. Dies zeigt sich nicht nur, als seine ehemalige Frau bei ihm auftaucht und sich von ihm verabschieden will, weil sie einen neuen Mann mit Kindern geheiratet hat. Auch Möbius' gespielter Tobsuchtsanfall und sein "Psalm Salomos" führt zu einem Eklat. Die Krankenschwester Monika Stettler gesteht ihm ihre Liebe - und Möbius selbst bekennt sich auch zu ihr. Doch dieses Ereignis kann nicht verhindern, dass er sie schließlich hinter der Bühne erdrosselt.

Die Bühne besteht dabei aus einem halbrunden Ambiente, dessen Türen immer wieder geöffnet und geschlossen werden. Im zweiten Akt stellt der umsichtige Regisseur Herbert Olschok Möbius' zentrale Stellung in diesem sarkastischen Stück  plastisch heraus. Er kann nämlich seine beiden Kollegen, die ihn für ihr jeweiliges Herrschaftssystem gewinnen wollen, davon überzeugen, sich ebenfalls der Forschung zu verweigern und im Irrenhaus zu bleiben. So finden beide Wissenschaftler den Mut und die Kraft, sich von ihren Auftraggebern  und deren politischen Systemen zu lösen und sich zu ihrer Schuld und Verantwortung zu bekennen. Trotzdem bleiben sie im Grunde genommen opportunistische Wissenschaftler. Sie bedauern zwar die Ermordung  ihrer Krankenschwestern, rechtfertigen sich aber hinsichtlich ihrer undurchsichtigen Tätigkeit als Agenten.  

Möbius möchte um jeden Preis die Verbreitung seiner Forschungsergebnisse und Ideen aufhalten.  Doch die Irrenärztin und Chefin des Sanatoriums, Mathilde von Zahnd, macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Sie hat nämlich bereits Kopien der Aufzeichnungen von Möbius erstellt und möchte   mithilfe seiner Formel die Weltherrschaft erringen. Dies ist auch der Moment, bei dem man in der Inszenierung von Herbert Olschok richtig nachdenken kann. Besitzt Mathilde von Zahnd wirklich mörderische Energie? Zumindest hat sie die Männer voll in ihrer Hand: "Für wen sich meine Patienten halten, bestimme ich."

Die Schauspielerin Hellena Büttner kann die komplizierte Figur dieser Irrenärztin auch psychologisch glaubwürdig entschlüsseln. Denn sie gibt Möbius angesichts der Ermordung der Krankenschwester Monika in gewisser Weise Recht: "Seine Majestät ordnete den Mord an." Nur als "alte, bucklige Jungfrau" erscheint sie bei dieser Inszenierung nicht, was vielleicht auch eine szenische Schwäche ist. Peter Bause kann der Figur des Johann Wilhelm Möbius ein markantes Profil geben. Dies gilt vor allem dann, wenn er verzweifelt den Namen der von ihm ermordeten Krankenschwester ruft. Da gewinnt das Stück eine ungeheuer tragische, ja herzzerreissende Bedeutung. Andre Vetters als Herbert Georg Beutler alias Newton und Stephan Bürgi als Ernst Heinrich Ernesti alias Einstein gewinnen ihren Rollen weitere Glaubwürdigkeit ab.  Und der von Christian A. Hoelzke  sehr konsequent dargestellte Kriminalinspektor Richard Voß zieht sich trotz der Morde schließlich zurück, weil er scheitert.

Das bürgerliche Rechtssystem hat bei Dürrenmatt in grandioser Weise versagt. Für Dürrenmatt steht das Theater im Zentrum, dies macht auch die Inszenierung von Herbert Olschok deutlich. Es gibt keine politische Richtung wie bei Brecht. Trotzdem könnten manche Szenen noch schärfer und pointierter dargestellt werden. So wirkt einiges eher geglättet. In weiteren Rollen gefallen Katrin Schwingel als Oberschwester Marta Boll, Tina Rottensteiner als Krankenschwester Monika Stettler, Wolfram Kremer als Oberpfleger Uwe Sievers sowie Regula Steiner-Tomic als Frau Missionar Lina Rose. Das Publikum quittierte die Leistungen des Ensembles  mit freundlichem Schlussbeifall.
 

 

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 21 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

FURCHT VOR DER FREIHEIT -- Neue Reihe "Studio goes Politics" im Studiotheater STUTTGART

Die Kabarettistin Stephanie Biesolt eröffnete zusammen mit der Schauspielerin Marion Jeiter diese neue Kabarett-Reihe im Studiotheater. Dabei wurde die AfD aufs Korn genommen. Beim "Angriff auf…

Von: ALEXANDER WALTHER

GESPENSTER UND ATEMLOSE SPANNUNG -- "Falsche Schlange" von Alan Ayckbourn im Kronenzentrum/BIETIGHEIM-BISSINGEN

Eine Prodfuktion von Tournee-Theater Thespiskarren - Theater im Rathaus Essen. - In der subtilen Regie von Gerit Kling bekommt dieser Psycho-Thriller rasch scharfe Kontur. Annabel Chester kehrt nach…

Von: ALEXANDER WALTHER

AUCH DIE BILDENDE KUNST IST PRÄSENT -- Ludwigsburger Schlossfestspiele 2025

Die Festspielzeit 2025 wird am Samstag, 31. Mai 2025 mit dem Konzerthausorchester Berlin unter der Leitung von Joana Mallwitz im Forum am Schlosspark eröffnet. Neben Schuberts "Großer C-Dur-Sinfonie"…

Von: ALEXANDER WALTHER

FEINE SCHWINGUNGEN -- "Wege in die Gegenwart" - Gitarrenmusik des 20. und 21. Jahrhunderts im Kammermusiksaal der Musikhochschule STUTTGART

Gitarren-Musikstudenten der Klasse von Tillmann Reinbeck stellten sich im Kammermusiksaal der Musikhochschule vor. Der Abend begann mit "Quatre pieces breves" aus dem Jahre 1933 von Frank Martin. Das…

Von: ALEXANDER WALTHER

PEITSCHENDE RHYTHMEN -- Symphonieorchester unter Juraj Valcuha im Beethovensaal der Liederhalle STUTTGART

Ein sehr russisches Programm präsentierte das glänzend disponierte SWR Symphonieorchester unter der Leitung des slowakischen Dirigenten Juraj Valcuha diesmal in der Liederhalle. Zunächst erklang die…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑