Mit den «Meistersingern von Nürnberg» steht zum zweiten Mal in Richard Wagners Schaffen eine geschichtlich verbürgte Persönlichkeit im Handlungsmittelpunkt: der gebürtige Nürnberger Hans Sachs, Schuhmacher und Poet, Verfasser von ca. 6000 Werken, Mitglied und zeitweise auch Vorsitzender der Nürnberger Meistersingerzunft im 16. Jahrhundert. Die Bedeutung der Stadt Nürnberg, in der Richard Wagner die Handlung ansiedelt, lässt sich beispielsweise ebenso mit der Geschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wie mit blühendem Handel und immensem Reichtum der nahezu legendären Freien Reichsstadt oder dem «Friedensmahl» aus Anlass der Unterzeichnung des Friedensvertrages zum Ende des Dreißigjährigen Krieges verbinden. Dennoch komponierte Wagner keine historische Oper. Zwar machte sich die Rezeptionsgeschichte von der Uraufführung 1868 in München bis Mitte des 20. Jahrhunderts am Bühnenaufbau mit kleinen Nürnberger Gassen fest, aber Ort, Personen und – zum großen Teil authentische – Regeln des Meistergesangs dienten Wagner als Sinnbild ästhetisierender und politisierender Kunstdiskussion und nicht als Bühnenspektakel der Wiederbelebung einer vergangenen Epoche. 1956 kam es zu einem ungeheuren Skandal, als Wieland Wagner seine Bayreuther Inszenierung eben von jenen Gässchen und Butzenscheiben befreite und anstelle der Festwiese einen hellen Sommertagtraum zeigte. Wieland Wagner hatte das Sinnbild in den Mittelpunkt gerückt, für das die Stadt Nürnberg steht. Er nahm die Musik ernst, die weit über die Gässchenromantik hinaus weist.
Die Handlung erzählt von Liebe und Kunstpolitik. Um die Tochter des Goldschmieds Pogner heiraten zu dürfen, versucht Ritter Stolzing die Regeln des Meistergesangs zu erlernen. Er muss als Sieger aus dem Sängerwettbewerb hervorgehen, denn als Preis ist Eva Pogner ausgesetzt. Hans Sachs, dem es um die Erneuerung der Kunst geht, unterstützt Stolzing, in den nahezu unüberschaubaren Vorschriften des Regelwerks den eigenen Ton und die eigene Weise zu finden. Was nichts anderes heißt, als den starren Regelkanon der Kunst aufzulösen und sie zu ihren natürlichen Ursprüngen lebendiger Ausdruckskraft eines gegenwärtigen Zeitgefühls zurückzuführen. Ohne die Form dabei preiszugeben.
Hinter dieser Handlung stehen Außenseiter einer im Spießertum versunkenen Gesellschaft, die misstrauisch Neues belauert und sich ängstlich vor Veränderung zu schützen sucht. Zu ihnen gehören Hans Sachs und Stolzing. Zum Außenseiter wird am Ende Meistersinger Beckmesser, der so verklemmt ist, dass er reihenweise Ungeschicklichkeiten fabriziert. Er sucht sein Ansehen über gnadenlose Kontrolle strikter Einhaltung von Vorschriften zu stabilisieren, findet nicht die passende musikalische Form und schon gar nicht den adäquaten Ausdruck für ein in Leidenschaft von fremder Hand geschriebenes Gedicht. So wird er denn auch verspottet von seinem Widersacher Hans Sachs und von dem Volk, das zum Sängerwettstreit als Jury nach dem Willen von Hans Sachs agiert. Dabei greift Beckmessers Weise am kühnsten der Zeit voraus, ins 20. Jahrhundert zum Irrationalismus dadaistischer Kunst. Sieger wird Stolzing und bekommt seine Eva. Die Natürlichkeit und Leidenschaftlichkeit seines Ausdrucks zieht alle in Bann. Das Richard-Wagnersche Œuvre im Anspruch gültiger Kunst an einem ihr geweihten Ort steht Pate.
Über der Handlung ein ganzes Bündel streitbarer Gedanken bis zum Künstler als dem wahrhaft Mächtigen, der den ihm zu Gebote stehenden Einfluss im Interesse des Fortschritts und des menschlichen Glücks einsetzt. Unter Verzicht auf das eigene Glück, denn so ganz gleichgültig ist auch dem Künstler Sachs die Eva Pogner nicht. Doch das Schicksal eines Königs Marke will er nicht teilen.
Was aus den Intentionen Wagners aber auch in unsere Zeit hinüber wächst, ist der Gedanke, dass angesichts globalen Unternehmertums die nationale Kultur identitätsstiftend wirken kann, wenn sie sich neuen Einflüssen öffnet und sich nicht im Beharren leer läuft.
Fabio Luisi hat die Musikalische Leitung übernommen und sieht somit seiner ersten Opernpremiere als Generalmusikdirektor entgegen. Claus Guth, der vor 6 Jahren die Uraufführung von Peter Ruzickas „Celan“ auf die Bühne brachte, inszeniert Wagners wohl beliebteste und deutungsreichste Oper zusammen mit dem Bühnen- und Kostümbildner Christian Schmidt. Für beide Künstler leitet die Dresdner Inszenierung die künftige Beschäftigung mit dem Gesamtwerk Wagners ein.
Die Meistersinger im Solistenensemble sind u.a. Alan Titus (Hans Sachs), Camilla Nylund (Eva), Bo Skovhus, der sein Rollendebüt als Beckmesser gibt und Robert Dean Smith (Stolzing).
Weitere Besetzungsangaben unter www.semperoper.de