Seine Ausbildung zum römischen Legionär lässt den historischen Hermann die Schwachstellen der römischen Kriegstaktik erkennen – bei Heinrich von Kleist ist Hermann ein brillanter Stratege, der sich von niemandem in die Karten schauen lässt und bis kurz vor der entscheidenden Schlacht die Fäden alleine in der Hand hält. Im Dschungel des deutschen Waldes sind die Römer verloren, orientierungslos irrt Varus, der römische Feldherr, direkt in die Falle, die Hermann ihm gestellt hat. Doch was bleibt nach der erfolgreichen Schlacht? Alle Kriege sind schmutzig und Hermann war jedes Mittel recht und kein Opfer zu groß, um die „Freiheit“ Germaniens zu erringen. Und jetzt? Nach Rom? Selbst die Weltherrschaft erringen? Die verbrannte Erde zurücklassen?
Kleists Hermann ist ein undurchsichtiger, seltsamer Held. Entzieht man ihm das zeittypische deutsche Nationalgetöse, so erinnert sein Widerstand an Partisanenkämpfe, Befreiungsbewegungen und Guerillakriege weltweit und zu allen Zeiten. Sein Kampf gegen einen übermächtigen Gegner, gegen die Besatzung, Ausbeutung und Unterdrückung ist strategisch klug aber auch militant. Er stellt uns vor die Frage nach der Legitimierung von Gewalt im politischen Widerstand, nach Möglichkeiten und Notwendigkeiten von Widerstand überhaupt. Für welche Freiheit kämpfen wir heute? Und mit welchen Mitteln?
Regisseur Simon Solberg und sein Team schlagen in Die Hermannsschlacht nach Kleist einen Bogen durch die Geschichte, die sich bekanntlich oft wiederholt. David gegen Goliath, Germanen gegen Römer, Vietnam gegen USA – es geht um die Frontlinien, um die Motive und die Verluste auf beiden Seiten. Auf welcher Seite stehen wir?
Heinrich von Kleists selten gespieltes Stück Die Hermannsschlacht war vom Autor selbst 1808 „für den Augenblick berechnet“ – als Propagandastück gegen die französische Besatzung Preußens. Wie viele seiner Zeitgenossen sah Kleist im Mythos des Germanenfürsten Arminius und der Varusschlacht ein Vorbild für erfolgreichen Widerstand gegen eine Besatzungsmacht. Die Uraufführung sollte Kleist jedoch nicht mehr erleben – sie fand erst 50 Jahre nach seinem Tod in Breslau statt.
Heinrich von Kleist ist der Extremist unter den deutschen Klassikern; seine Werke loten die Spannung zwischen „Küssen“ und „Bissen“ aus, sprechen von innigsten Gefühlen ebenso wie von Gewalt und Raserei, sind scharfe Gedankenspiele, bewegen sich oft in schwindelnden sprachlichen Höhen, wandeln an moralischen Abgründen entlang und geben manches Rätsel auf. Der Spross einer preußischen Militärfamilie setzte nach nur 34 Lebensjahren am Berliner Wannsee 1811 seinem Leben ein Ende. Er hinterließ nicht nur einige der spannendsten und wichtigsten klassischen Dramen, wie u. a. Penthesilea, Das Käthchen von Heilbronn oder Prinz Friedrich von Homburg, sowie kanonische Erzählungen wie Michael Kohlhaas oder Die Marquise von O., sondern auch philosophische Schriften und Briefe, wie Über das Marionettentheater. Mit Die Hermannsschlacht und Amphitryon zeigt das STAATSTHEATER KARLSRUHE im Kleistjahr 2011 zwei zeitgenössische Auseinandersetzungen mit Kleist.
R Simon Solberg B Maike Storf K Sara Kittelmann V Manuel Braun Musikalische Einrichtung N.N.
D Kerstin Grübmeyer
Mit Thusnelda (Cornelia Gröschel); Ventidius (Simon Bauer), Aristan (Robert Besta), Varus/Marbod (Hannes Fischer), Hermann (Paul Grill), Selgar/Eginhardt (Thomas Halle)
Weitere Vorstellungen: 8.10. und 14.10.2011