Bei Homer liest es sich zunächst anders: dort heißt es, er müsse
aus den liebenden Fängen der Nymphe Calypso „befreit“ werden. Doch der Mythos ist mehrschichtig zu lesen, sodass wir annehmen können, dass ihm die Zeit des „Verliegens“ nicht ganz unangenehm war. Angekommen auf seiner Heimatinsel, wird er von der ihm gewogenen Minerva besetzt als Hauptfigur im Intrigenspiel seiner eigenen Rettung: als Herrscher, Vater und Gemahl. Als Göttin der Weisheit ist sie die adäquate Verbündete für den „Listenreichen“, dem eine beängstigende Intelligenz zugeschrieben wird (er war der Erfinder des Trojanische Pferdes).
Wie Adorno und Horkheimer am Beispiel des Odysseus in ihrer „Dialektik der Aufklärung“ gezeigt haben, leidet das Subjekt der Aufklärung unter dem Verlust des archaischen Ichs. Seine eigene Intelligenz tritt ihm als selbstzerstörerische entgegen. Oder: das Ich entdeckt, spätestens seit Sigmund Freud, in sich und (auch um ihn herum) seinen eigenen angeschwemmten Müll.
Dieser wird an die Ränder und Ufer der klaren, lichten Bühne, auf der der Wuppertaler „Ulisse“ spielt, angespült. Gestalten des Mythos inszenieren sich retrospektiv als multiple Figuren heutiger Realität, auch Ulisse schleicht
sich undercover auf das Schlachtfeld. Die Freier belagern Penelope, der langsam die Vorräte ausgehen, wie eine Burg. Ulisse ist schließlich der einzige, der der Prüfung seiner Identität standhält (er spannt den Bogen!) – doch ausgerechnet diejenige, die doch mit dem Herzen sehen sollte, glaubt ihm lange nicht. Vielleicht sieht sie als einzige, dass der Ulisse, den sie kannte, mit dem, der zurückkehrte, nicht mehr viel zu tun hat.
Banu Böke singt die Minerva, Joslyn Rechter die Penelope, Timothy Sharp den Ulisse, Christian Sturm den Telemaco.
Musikalische Leitung: Boris Brinkmann
Inszenierung: Jacob Peters-Messer
Bühnenbild: Markus Erik Meyer
Kostüme: Sven Bindseil
Choreinstudierung: Jens Bingert
Dramaturgie: Johannes Blum
Mit: Banu Böke, Joslyn Rechter, Miriam Scholz, Ute Temizel, Marco Agostini, Peter König, Miljan Milović, Nathan Northrup, Thomas Schobert, Timothy Sharp, Christian Sturm
Sinfonieorchester Wuppertal
Die nächste Vorstellung ist am 17. Januar 2010 im OPERNHAUS.