Die Geschichte ist nicht ganz neu, sie wiederholt sich immer wieder und scheint aktuell wie nie: dem Machtstreben, dem Drang zur Expansion, religiös-politischen Konflikten, Streit, Rachegelüsten, Krieg folgen Gefangennahme, Flucht, Vertreibung, Heimatlosigkeit.
Verdis Oper "Nabucco" beschäftigt sich ganz konkret mit dem durch Nebukadnezar II. erfolgten Überfall auf Jerusalem und die Versklavung des jüdischen Volkes angereichert mit einem familiären Drama und einer Liebesgeschichte zwischen zwei den feindlichen Lagern Angehörenden, der als Verrat gesehen wird. Genug konfliktreiches Potential.
Durch die Fensterluken des umgestürzten Hauses zwängen sich die Angegriffenen, an der Hinterwand verzerrt gespiegelt und von schräg oben sichtbar hat das etwas Expressionistisches, Surreales, erinnert an die schiefen, verschobenen Häuser Chaim Soutines.
Die verschiedenen Erzählstränge werden in dieser Inszenierung bühnentechnisch durch horizontale Ebenen getrennt: unten das graue Elend eines Flüchtlingscamps, in dem Wasser aus Plastikkanistern verteilt, Geburtshilfe bei einer auf dem Boden Liegenden erteilt wird, oben die goldene glamouröse Suite des Herrschers, in der um den Anspruch auf die Krone gestritten wird.
Der Kontrast spiegelt sich auch in den beiden Töchtern Nabuccos wieder. Abigaille ist die dunkelhaarige Mondäne in Designer-Klamotten und mit In-Täschchen am Handgelenk, Fenena die blonde Mädchenhafte in rosa Tüllröckchen mit Sneakern. Damit ist zugleich gekennzeichnet, zu welchen Lagern sie sich zuschlagen. Ilaria Lanzino führt eine zusätzliche Erzählebene ein, indem sie beide auch als junge Mädchen darstellt. Damit versucht sie psychologisch zu erklären, wie Abigaille zu einer machthungrigen und mordlüsternen Frau geworden ist, nämlich durch Eifersucht auf ihre Schwester und das ungerechte Verhalten ihres Vaters. Sie fühlt sich diskreditiert als sie erfährt, dass sie die Tochter einer Sklavin, unehelich und damit nicht erbberechtigt ist, Rachegelüste erwachen.
Barrikaden aus Metallresten, Europapaletten, Sandsäcken mit einer quer gestellten Fahne verweisen sowohl auf die Französische Revolution und erinnern an Delacroix Bild "Die Freiheit führt das Volk an" als auch an die Italienischen Unabhängigkeitskriege. Ein buntes Mischmasch aus verschiedenen Stilepochen findet sich in Kostümen und im Bühnenbild, das wahrscheinlich darauf hinweisen soll, dass das Geschehen zeitlos ist? Die Massenszenen sind ein einziges Wimmelbild. Ilaria Lanzinos Inszenierung endet damit, dass die Herrscher beider Seiten am Scheiterhaufen verbrannt werden, das Volk seine Freiheit erlangt und die Macht übernimmt.
Ganz so geglückt ist diese Nabucco Version nicht, ist sie doch von zu vielen Einfällen und Bildern überfrachtet.
Dem Publikum hat es dennoch sehr gefallen wie sich an dem langandauernden Applaus ablesen ließ. Insbesondere Svetlana Kasyan als Abigaille, die hier die eigentliche Hauptrolle spielte, wusste spielerisch und musikalisch zu überzeugen. Herausragend auch der Chor, der dank Lanzinos Neuinterpretation noch mehr Augenmerk als üblich auf sich zog.
Musikalische Leitung: Katharina Müllner
Inszenierung: Ilaria Lanzino
Bühne: Dorota Caro Karolczak
Kostüme: Carola Volles
Video: Andreas Etter/Fabio Stoll
Licht: Thomas Diek
Chorleitung: Patrick Francis Chestnut
Dramaturgie: Heili Schwarz-Schütte
Nabucco: Alexey Zelenkov
Ismaele; Eduardo Aladrén
Zaccaria: Young-Doo Park
Abigaille: Svetlana Kasyan
Fenena: Anna Harvey
Der Oberpriester des Baal: Luke Stoker
Abdallo: Florian Simson
Anna: Mara Guseynova
Junge Abigaille: Lina Emilie Göke
Junge Fenena: Livia Matys
Junger Ismaele: Jonathan Matys
Chor der Deutschen Oper am Rhein/Extrachor
E-Chor
Extrachor
Düsseldorfer Symphoniker