
Sie nimmt Abstand vom Internet und sogar von ihrem neuen Freund. In einfühlsamer Weise wendet sie sich hier den Menschen der Pariser Gegenwart zu. Denn es gelingt der Autorin, die einzigartige Atmosphäre dieser Stadt in wenigen Sätzen auf den Punkt zu bringen. Sie begleitet den jungen Lehrer Khader in den Vorort Pantin, lernt durch Christine die anarchistische Bibliothek kennen, die der "Pariser Kommune" gewidmet ist und diskutiert mit der Comiczeichnerin Florence über Feminismus. Mit Ironie und Poesie zugleich schildert Ulrike Ulrich hier Alltagssituationen, die sich immer wieder in unterschiedlicher Weise wiederholen. Schließlich fällt der Protagonistin die vergessene Autorin Louise Crombach auf. Sie sorgt für weitere Inspiration: "Ich bin letzte Woche, bei meiner Recherche zu Desbordes-Valmore, auf eine mir befreundete Schriftstellerin gestoßen. Louise Crombach. Vorübergehend Shootingstar der Pariser Literaturszene Mitte des 19. Jahrhunderts, unverheiratet, alleinerziehende Mutter, zeitweise Gefängniswärterin im Frauengefängnis von St. Lazare, verurteilt, weil sie einer Gefangenen zur Flucht verholfen hat..."
Ulrike Ulrich glückt es, das Montmartre-Leben lebendig werden zu lassen. Vor allem Rilkes Roman begleitet die Protagonisten hier auf Schritt und Tritt. Darin wird das Wesen des Autors mit allem Ansprechenden und Abstoßenden und mit seiner betont unheimlichen Überempfindlichkeit für das Hintergründige seelischer Welten deutlich. Rilke lässt das Leben eines vornehmen dänischen Dichters Revue passieren, der unter bedrückenden äusseren Verhältnissen in Paris lebt. Das alles wirkt feinnervig und nach innen gerichtet. Einen ähnlichen Schritt unternimmt auch die Autorin Ulrike Ulrich, auch wenn viele Passagen gar nicht so melancholisch wirken und das Leben in der Stadt recht ansprechend beschreiben. Aber man sollte ihren Roman nicht mit Rainer Maria Rilkes Werk vergleichen. Ulrike Ulrich schreibt: "Bei Rilke läuft alles auf die Geschichte vom verlorenen Sohn zu. Bei Malte..." Und weiter: "Im Gleichnis vom verlorenen Sohn gibt es keine Mutter. Es geht um den Vater und die Söhne. Es ist patriarchal. Aber ich verstehe Maltes Gedanken. Ich verstehe seine Angst davor, festgelegt zu werden, von außen begrenzt..." Lesenswert sind hier vor allem die dichten atmosphärischen Schilderungen, die in einfühlsam geschilderte seelische Prozesse eingebunden werden.


















