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Das NT Gent zu Gast im Schauspiel Köln

15. und 16. Februar 2008 um 19.30 Uhr

 

Seit Beginn der Intendanz von Karin Beier wendet sich das Schauspiel Köln verstärkt internationalen Kooperationen und Koproduktionen zu. Dazu gehört auch, dass mit ausgesuchten ausländischen Ensembles langfristige Freundschaften aufgebaut werden, die sich in gegenseitigen Einladungen von Gastspielen, gemeinsamen Kooperationen und Koproduktionen im engsten Sinne ausdrücken können. Das erste Ensemble, mit dem das Schauspiel Köln eine solche Perspektive verabredet hat, ist das NT Gent.

Gent kann man fast als Nachbarstadt bezeichnen, mit dem Zug in zweieinhalb Stunden erreichbar, also näher an Köln gelegen als z.B. Hamburg und Berlin. Seit der Spielzeit 2004/05 leitet Johan Simons, einer der renommiertesten und wichtigsten Regisseure des europäischen Theaters und designierter Intendant der Münchner Kammerspiele, das Genter Stadttheater und hat ein exzellentes Schauspielerensemble dort zusammengeführt. Ein Grund, die beiden Inszenierungen, die das Schauspiel Köln zum Auftakt eingeladen hat, nicht zu verpassen. Beide Stücke werden in holländischer Sprache gespielt und deutsch übertitelt.

 

De Asylzoeker/Der Asylbewerber

nach dem Roman „Der Vogel ist krank“ von Arnon Grünberg

Regie: Johan Simons.

am 15. Februar 2008 um 19.30 Uhr im Schauspielhaus

 

Christian Beck, einst gefeierter Schriftsteller, entdeckt, dass der Erfolg – ebenso wie die Liebe und die Solidarität – eine Illusion ist, hinter der der Mensch sich auf der Flucht vor seinem eigenen Egoismus versteckt. Beck wird der ›große Entlarver‹ von Illusionen. Die Liebe entlarvt er, indem er systematisch seine Frau betrügt, den Erfolg, indem er die Schriftstellerei gegen einen Job als anonymer ›Übersetzer von Gebrauchsanweisungen‹ eintauscht, und die Solidarität, indem er gleichgültig wird gegenüber einer Welt, die immer mehr in Flammen steht. Als seine Frau todkrank wird, entscheidet er sich, seine eigene

 

Interessen zurückzustellen und nur noch für sie zu leben. Auch als seine Frau beschließt, einen Asylbewerber zu heiraten. Zusammen mit dem neuen Mann seiner Frau flüchtet Beck in die Realität. Er entdeckt durch den Schmerz neue Möglichkeiten des Glücks und der Liebe. Die Figuren aus »Der Asylbewerber« begreifen, wie begrenzt ihre Möglichkeiten der Liebe und des Glücks sind, und wie wichtig es ist, mit Schmerz und Leiden leben zu lernen. Beck und seine Frau verkörpern die tödliche Ermüdung des westlichen Menschen, ihr Leben stellt die letzten, melancholischen Tanzschritte einer Kultur dar, die untergeht. Die Figur des Asylbewerbers steht in all ihrer Ungreifbarkeit für eine andere Art von Mensch. Er kommt und geht, auf seinen Schultern scheint das Gewicht des alten Kontinents nicht zu lasten. Gleichzeitig hält er Beck einen Spiegel vor, indem er den Idealismus dort wieder aufgreift, wo Beck ihn vor langer Zeit abgelegt hatte.

 

ARNON GRÜNBERG, 1971 in Amsterdam geboren, arbeitet nach seinem Verweis vom Vossius-Gymnasium unter anderem als Apothekenhelfer, Tellerwäscher und Verleger. Für die Toneelgroep Amsterdam und im Auftrag des Amsterdamer Fonds für die Kunst schreibt er mehrere Theaterstücke. Er arbeitet für »International Theatre & Film Books«, schreibt Kolumnen für »Boekblad«, die Zeitschrift des niederländischen Buchhandels, sowie für »NRC Handelsblad« über seinen Aufenthalt in den USA. Zur Zeit lebt er in New York. Für sein Werk ist er international

 

mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Sein hoch gelobter Roman »De Asielzoeker« erscheint 2005 unter dem Titel »Der Vogel ist krank« in deutscher Sprache.

 

Platform/Plattform

nach dem gleichnamigen Roman von Michel Houellebecq

Regie: Johan Simons.

und am 16. Februar 2008 um 19.30 Uhr im Schauspielhaus

 

»Plattform« ist der dritte Roman von Michel Houellebecq, den Johan Simons inszeniert. Wie schon in »Elementarteilchen« geht es auch in diesem Buch um das Paradox von Sexualität und Liebe. Die westliche Moral hat die sexuelle Tat stets als das ultimative und spirituelle Verschmelzen von zwei Menschen betrachtet. Valérie und Michel aus »Plattform« gelangen zu einer radikal anderen Auffassung: Sie entdecken, dass sie die größte Lust zusammen erleben, wenn sie Sexualität und Liebe voneinander trennen. Indem sie die sexuelle Lust kultivieren, entsteht wahre Liebe. Daraus ziehen sie den Schluss, dass sexuelle Befriedigung am besten organisiert werden kann, wenn man sie dem Prinzip von Angebot und Nachfrage unterordnet. Valérie und Michel organisieren luxuriöse Sexurlaube nach Südostasien und Südamerika. In den künstlichen Paradiesen des Sextourismus finden sie nicht nur sich selbst, sondern erfüllen auch die sexuellen Wünsche von zahllosen anderen Europäern. Bis auch diese letzte Utopie buchstäblich in die Luft gesprengt wird. Bei ihrem Versuch, eine neue Welt aus Lust und Liebe zu erschaffen, erkannten Michel und Valérie nicht, was dies aus einer nicht-westlichen Perspektive bedeutet: Den Export westlicher Dekadenz. Während sie sich vom Westen abwenden wollen, propagieren sie ein Leben, das ganz mit der kapitalistischen Logik konform geht: Die Konsumenten müssen unbefriedigt bleiben, damit sie weiterhin die Reisen buchen. So sehr Valérie und Michel auch den Konkurs der westlichen Kultur verkörpern, sie verwirklichen etwas, was wenigen vergönnt ist: wahre Liebe.

 

MICHEL HOUELLEBECQ, französischer Lyriker, Essayist und Romancier, geboren am 26. Februar 1958 in La Réunion, lebt heute als freier Schriftsteller in Irland, in der Grafschaft Cork. In Deutschland ist er vor allem mit seinen Romanen »Ausweitung der Kampfzone« (1994), »Elementarteilchen« (1998), »Plattform« (2001) und zuletzt »Die Möglichkeit einer Insel« (2005) bekannt geworden. Sein Werk ist in über 25 Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden.

 

Karten an der Theaterkasse unter 0221-221-28400 oder unter www.schauspielkoeln.de

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