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Das Jaffa Theater in Tel Aviv kämpft für die Freiheit der Kunst - ein Aufruf!

September 2017. -- Eigentlich sollte das Kooperationsprojekt „Cohn Bucky Levy – Der Verlust“ nur von Altenburg, Thüringen nach Tel Aviv-Jaffa, Israel umgesetzt werden. Premiere am 7. September 2017. Doch nun hat das deutsche Team um Bernhard Stengele in den Endproben erfahren, welchem Widerstand politisches Theater in Israel ausgesetzt ist.

 

Das Jaffa Theater in Tel Aviv-Jaffa hat mit politischem Gegenwind zu kämpfen. Im Büro des Leiters Igal Ezraty steht das Telefon kaum still: Israelische Radiostationen und Fernsehen wollen wissen, wie sich das Theater zu den neuesten Vorwürfen verhält. Es ist die Schlagzeile in den Israelischen Zeitungen: „Jaffa Theater droht Schließung!“ Denn Kulturministerin Miriam Regev persönlich nannte das hebräisch-arabische Jaffa Theater eine Brutstätte des Terrorismus.

 

Den Vorwürfen geht die kontinuierliche künstlerische Arbeit des preisgekrönten Theaters voraus, das sich für die Redefreiheit sowohl hebräischer, als auch arabischer KünstlerInnen einsetzt. So kommen hier israelische und palästinensische AutorInnen seit 19 Jahren in den antiken Gebäuden des geschichtsträchtigen Jaffas – einst Kreuzfahrerstadt, mal in arabischer, mal in türkischer Hand, und inzwischen ein kulturell gemischter Stadtteil Tel Avivs – zu Gehör. Bereits Produktionen wie „The Admission“, die sich mit den subjektiven Erinnerungen und Bewertungen der Ereignisse in Israel 1948 beschäftigt und durch ein gemischtes, sowohl arabisches, als auch hebräsches Ensemble besticht, liefen hier mit großem Erfolg und zahlreichen ausverkauften Vorstellungen.

 

Auslöser der aktuellen Debatte um das Theater ist u.a. eine Solidaritätsveranstaltung für die umstrittene palästinensische Dichterin Dareen Tatour, für die das Jaffa Theater am vergangenen Mittwoch, 30. August, seine Räumlichkeiten vermietet hat. Tatour wurde Ende 2015 wegen eines Gedichtes verhaftet, die sie auf Facebook veröffentlichte und angeblich zum Terrorismus aufrief. Sie steht derzeit unter Hausarrrest. Israelische und palästinensische AutorInnen und SchauspielerInnnen haben im Jaffa Theater Gedichte in Hebräisch und Arabisch vorgetragen. Die Solidaritätsveranstaltung am Mittwoch war sehr gut besucht und lief friedlich ab. Doch bereits am Donnerstag wurde die Website des Theaters gehackt, Server und Kartenvorverkauf lahm gelegt.

 

Das Jaffa Theater bangt nun um seine Existenzgrundlage. Kulturministerin Miri Regev, ehemalige Zensorin des israelischen Militärs, macht ihren Einfluss immer mehr geltend: Am Sonntag hat Regev bei der Polizei beantragt, eine Untersuchung gegen das Jaffa Theater einzuleiten. Mittwoch, 6. September ist in den Zeitungen zum ersten Mal zu lesen, dass das Finanzministerium tatsächlich erwägt, dem Jaffa Theater die Fördergelder zu streichen.

 

Dass die Befürchtungen um die eigene Existenz des Jaffa Theaters nicht unberechtigt sind, zeigt auch ein Fall aus der Vergangenheit: Das Al Midan Theater in Haifa, ein arabisches Theater, das in Israel arbeitet, musste vergangenes Jahr nach einer ähnlichen Kampagne der Kulturministerin tatsächlich seine Arbeit einstellen. Das Theater ist offiziell noch nicht geschlossen, aber finanziell ausgetrocknet und daher unfähig, den weiteren Spielbetrieb aufrecht zu erhalten.

 

***

 

Das Jaffa Theater verfasste am 7. September 2017 einen leidenschaftlichen Aufruf, der es verdient, Gehör zu finden:

 

"Die Repräsentanten der Kreativen und Künstler, sowie diverser Kunst- und Kulturinstitute trafen sich am 7. September 2017 im Jaffa Theater, um gemeinsam die Tragweite der jüngst gegen die israelische Kunst- und Kulturszene verhängten Erlasse zu analysieren.

 

Sie haben ausnahmslos ihre Solidarität mit dem Jaffa Theater und dem Al Midan Theater bekundet und appellieren an die Regierung, von der Schmähung und Verfolgung des Al Midan Theaters, des Jaffa Theaters, der Festivals, Filme, Künstler und Kreativen abzusehen, die unablässig für ihr künstlerisches Schaffen schikaniert werden.

 

Die Repräsentanten appellieren außerdem an die Regierung, den Druck des Kulturministeriums auf den Justizminister, das Justizministerium und den Finanzminister, die Finanzierung von Kulturinstitutionen zu stoppen, zu untersagen. Es ist die Pflicht der Regierung, die Kunst und die Kreativen zu beschützen, wie es einem demokratischen, aufgeklärten Staat gebührt.

 

Die Freiheit der Kunst ist essentiell für einen demokratischen Staat. Kunst kann und soll kritisiert werden, aber in keinem Fall sollten die Bedingungen für staatliche Finanzierung an das Diktat der Regierenden geknüpft sein. Künstlern und Kreativen die finanzielle Unterstützung zu entziehen, bedeutet Zensur.

 

Die israelische Regierung sollte für die künstlerische Freiheit und gegen ihre Knebelung kämpfen.Verbale Gewalt und soziale Beschneidung, sowie die Versuche, damit die Gesellschaft zu spalten, sollten umgehend unterlassen werden.

 

Die israelische Kultur, israelische Künstler und Kreative, israelische Kunst- und Kulturorganisationen und -institute sind die besten Botschafter des Landes. Israelische Autoren und Dichter werden weltweit gelesen. Israelische Theater- und Ballettinszenierungen werden auf den wichtigsten Bühnen der Welt vor enthusiastischen Kritikern und jubelndem Publikum gespielt. Die von israelischen Orchestern gespielte Musik wird von Tausenden verfolgt und bewundert. Das lebendige israelische Kino nimmt an allen wichtigen Festivals teil. Israelische Kunst wird weltweit in den angesehensten Museen ausgestellt.

 

Das Recht auf Kultur ist ein essentielles soziales Grundrecht, das jedem Menschen gewährt werden muss.

 

Unser künstlerische und kultureller Reichtum existiert den hartnäckigen und wiederkehrenden Attacken durch die Regierung zum Trotz.

 

Die facettenreiche, wunderbare und vielfältige israelische Kunst und Kultur bildet das Fundament, auf dem die Generation unserer Kinder steht.

 

"Kultur ist das Gedächtnis einer Nation, ihr kollektive Bewusstsein, ihr geschichtlicher Fluss und ihre Art zu denken und leben." Milan Kundera"

 

(Übersetzung Bernhard Stengele)

 

 

 

 

 

 

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