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Bolero der Langsamkeit

"Bolero Variationen" von Raimund Hoghe im Tanzhaus NRW in Düsseldorf

Copyright: Rosa Frank.

Der "Bolero" ist Maurice Ravels bekanntestes Orchesterwerk. 1928 für Ballett geschrieben, wurde es im selben Jahr an der Pariser Oper uraufgeführt. In ca. 15minütiger Dauer werden zwei unveränderte Motive 18mal in wechselnder akkumulierender Instrumentierung wiederholt, bis zum Schluss alle Stimmen zusammenkommen. Dieses populäre Stück und seine Interpretationen hat nun Raimund Hoghe zu seiner Choreographie "Bolero Variationen" inspiriert, die im November 2007 in Paris am Centre Pompidou zur Uraufführung kam und jetzt im Tanzhaus NRW ihre deutsche Erstaufführung hatte.

Wie der Titel des Stückes "Bolero Variationen" schon andeutet, handelt es sich dabei keineswegs um den getanzten "Ur-Bolero". Die Auswahl der Musik reicht von Ravels Bolero, der immer wieder anklingt, über südamerikanische Boleros, die englischen originalen Fernsehkommentare zu der berühmten Eistanzkür von Jayne Torville und Christopher Dean bei den Olympischen Winterspielen 1984 in Sarajewo, einen Jazzbolero, einen chinesisch klingenden Bolero, über Doris Day zu dem von Maria Callas gesungenen Bolero "Mercè, dilette amiche" aus Verdis Sizilianischer Vesper. Und Hoghes "Bolero" ist wesentlich länger, er dauert mit Pause 140 Minuten.

Auf der leeren Bühne schreitet zunächst Raimund Hoghe selbst äußerst langsam das Bühnenrechteck ab, vier Tänzer und eine Tänzerin gesellen sich nach und nach dazu, auch sie bewegen sich langsam, die Gestik ist sparsam. In seiner Choreographie hält sich Hoghe keineswegs an die eventuelle Erwartungshaltung des Zuschauers, eine Steigerung findet nicht statt, das Tempus der Langsamkeit wird beibehalten. Hoghe hat scheinbar für sich ein Repertoire an Gesten, Symbolen und Bewegungsmustern entwickelt, aus dem er auch in den "Bolero Variationen" schöpft.

Aus einem Säckchen werden Reiskörner und Linsen zu kleinen Häufchen gerieselt, was an das Sandrieseln in Hoghes "Swan Lake 4 acts", aber auch in seinem Ergebnis der farbigen Häufchen an Wolfgang Laibs Kunst erinnert. Auch der Einsatz des Originaltons finden sich wieder, in "Sacre – The rite of Spring" war es die Stimme Strawinskys, hier in den "Bolero Variationen" ist es der schon erwähnte englische Kommentar zur Eistanzkür und eine Frauenstimme, die über ihre ungewöhnlichen Erfahrungen beim Eintreffen im KZ in Auschwitz und ihrer Einstellung als Cellistin im Lagerorchester berichtet, weil es nämlich in ihrer Schilderung eher einem netten small-talk entspricht und somit fast ungehörig erscheint, nach dem, was man aus anderen Berichten über die Lageratmosphäre zu kennen scheint.

Kollektive und persönliche Erinnerungen werden geweckt, aber auch gebrochen und in Frage gestellt. Die Art der Verlangsamung fordert zur Reflexion auf. "Bolero Variationen" entspricht damit ganz und gar dem Stil Raimund Hoghes.

Konzept, Choreografie, Regie: Raimund Hoghe

künstlerische Mitarbeit: Luca Giacomo Schulte

Tanz: Ornella Balestra, Lorenzo De Brabandere, Ben Benaouisse, Emmanuel Eggermont, Raimund Hoghe, Yutaka Takei

Licht: Raimund Hoghe, Johannes Sun-drup

Ton: Patrick Buret

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