Das russische Wort „Grosa“ aber lässt sich auch mit „Schrecken“, „Entsetzen“ oder „Katastrophe“ übersetzen und weist damit zugleich auf die dramaturgische Funktion dieser Szene hin, die sowohl im Drama als auch in der Oper den Kulminationspunkt der dramatischen Auseinandersetzung bildet: Katja ist mit Tichon verheiratet, der – willenlos, feige und heimlich dem Suff ergeben – ganz und gar unter der Fuchtel seiner Mutter steht, die auch Katja tyrannisiert.
Trotz ihrer moralischen Bedenken und der Angst vor den Folgen, geht die sich nach Liebe und Erfüllung sehnende Katja mit Boris ein Verhältnis ein. Doch nur zwei Wochen später gibt Katja – in abergläubischer Angst vor einem heraufziehenden Gewitter, in dem sie eine Strafe Gottes sieht – den Ehebruch mit Boris zu. Tichon will ihr verzeihen, aber die moralisch aufs äußerste empörte Kabanicha hält ihn zurück. Daraufhin stürzt sich Katja in die Wolga. Erschüttert klagt Tichon seine Mutter an, Katja in den Tod getrieben zu haben, die aber bleibt kalt und ungerührt und dankt den Umstehenden für ihre Anteilnahme.
Im Mittelpunkt von Janáčeks Oper steht Katjas innere Entwicklung. Ausgehend von ihrem Schicksal prangert der Komponist die fatale Doppelmoral des Kleinbürgertums an. Katja kann den religiös bestimmten Werten und Normen, die ihr Leben geprägt haben, nicht heuchlerisch begegnen. Das Tragische und zugleich Paradoxe ist, dass ihren aufrichtig empfundenen Moralvorstellungen nur unaufrichtige Schablonen begegnen. Katjas tiefe Menschlichkeit zeigt sich in einer Welt von Heuchlern, die ihre Überzeugungen teilen und dabei parodierende Zerrspiegel dieser Überzeugungen sind. Die kommentierende, sowohl Glück erfüllte wie klagende und sich auflehnende Musik des bedeutenden tschechischen Komponisten Leos Janáček (1854-1928) ist dabei nicht nur Untermalung der „Katja“-Handlung, sondern vor allem Ausdruck dessen, was die Personen denken und fühlen. Die Uraufführung von Janáčeks Meisterwerk fand am 23. November 1921 im Nationaltheater Brünn statt und wurde zu einem überwältigenden Erfolg.
Text vom Komponisten nach dem Schauspiel „Gewitter“ von Alexander Ostrowskij
In tschechischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Musikalische Leitung: Justin Brown | Regie: Georg Köhl | Bühne: Christian Floeren | Kostüme: Ursina Zürcher | Chor: Ulrich Wagner
Mit: Ulrich Schneider (Dikoj, Savjol Prokofjewitsch, ein Kaufmann), Bernhard Berchtold (Boris Grigorjewitsch, sein Neffe), Anna Maria Dur (Kabanicha, Marfa Ignatjewna Kaban, eine reiche Kaufmannswitwe), Matthias Wohlbrecht (Tichon Iwanytsch Kabanow, ihr Sohn), Christina Niessen / Barbara Dobrzanska (Katja, Katherina, seine Frau), Andreas Heideker (Kudrjasch, Wanja, junger Mann, Angestellter bei Dikoj), Stefanie Schaefer (Warwara, Pflegetochter im Hause Kabanow), Luiz Molz (Kuligin, Lehrer), Sarah Alexandra Hudarew (Glascha, Dienstmagd), Sigrun Maria Bornträger (Fekluscha, Bedürftige)
Badischer Staatsopernchor, Badisches Staatskapelle
Weitere Vorstellungen: 15.6. und 22.6.2011