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ATEMLOSE HÖHENFLÜGE -- SWR Symphonieorchester mit Busoni und Sibelius im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART

am 12. April 2024

Zwei unterschiedliche Zeitgenossen standen diesmal im Zentrum: Jean Sibelius und Ferrucio Busoni. Immerhin weiß man, dass beide in Helsinki Schumanns Klavierquintett in Es-Dur gemeinsam musizierten. Im Beethovensaal interpretierten das Chorwerk Ruhr und die Zürcher Sing-Akademie zunächst die selten zu hörende "Finlandia-Hymni" für Männerchor a cappella aus op. 26 von Jean Sibelius.

 

Copyright: Liederhalle Stuttgart: Beethovensaal

Der begeisterte Patriotimus kam in dieser subtilen Wiedergabe unter der inspirierenden Leitung von John Storgards voll zur Geltung. Die Schönheit der heimatlichen Seen und Wälder blitzte immer wieder bedeutungsvoll hervor. Elemente der finnischen Volksmusik paarten sich reizvoll mit polyphonen Schattierungen.

Anschließend erfolgte eine reife, in sich abgeklärte Wiedergabe der Sinfonie Nr. 7 in C-Dur op. 105 von Jean Sibelius. Die national gebundene Hochromantik machte sich facettenreich bemerkbar. Eine ruhige, natürliche Gelöstheit setzte sich hier in wunderbarer Weise durch. Ein abgeklärter Geist nahm Gedanken von schlicht-ergreifender Größe an. Auch die edle Durchsichtigkeit der  Orchesterfarben zeigte klangfarblichen Reichtum. Organisch floss ein Thema ins andere, genau wie die drei Sätze in einen Satz zusammenflossen. Unter der Leitung von John Storgards wuchsen die Themenkeime langsam zum Thema heran. In der Skala und dem einfachen Akkordthema der Streicher in den ersten Takten des einleitenden Adagio existierte  bereits das gesamte Baumaterial dieser Sinfonie. Alles, was sich später zum Thema ausweitete,  war in dieser berührenden Wiedergabe durch das SWR Symphonieorchester schon vorhanden.

Ebenso wie in der 6. Sinfonie wurde hier keine thematische Bildung als Beispiel herausgelöst, ohne sie in ihrer stetigen Entwicklung zu zeigen. So kam es schließlich zu einem dynamisch großartigen Höhepunkt, der sich vom reichen Streichorchester  zu geradezu hymnischer Breite aufbaute. Große Spannung besaß auch der elektrisierende Übergang zum Vivacissimo-Teil, der die Bläser gegen die Streicher ausspielte. Die ruhige Weihe des Adagio-Abschnitts wirkte bei dieser Interpretation umso bewegender. Alles löste sich in tänzerische Heiterkeit auf. Das Scherzo entwickelte als Phrase Themenkeime der Einleitung zu überraschenden Bildungen. Ein unheimliches Presto verdichtete die Atmosphäre in geheimnisvoller Weise. Die Adagio-Schlussphrase gestaltete John Storgards mit dem SWR Symphonieorchester  mit hymnisch-überwältigendem Weitblick. Ein Abgesang voller Zuversicht folgte.

Er war als Romantiker ein Widerspruch, aber sein Klavierkonzert mit Männerchor in C-Dur op. 39 ist absolut überzeugend. Die Rede ist von dem italienischen Komponisten Ferrucio Busoni, der mit Sibelius befreundet war. Der fulminant-grandiose Pianist Kirill Gerstein vollbrachte bei seiner Interpretation dieses Werkes eine Meisterleistung. Es handelt sich um das längste Klavierkonzert überhaupt, dem mit rund 70 Minuten kaum Grenzen gesetzt werden. Auch das SWR Symphonieorchester unter John Storgards begleitete ihn überaus einfühlsam, filigran und explosiv. Die fünf Sätze verlangen vom Pianisten enormes technisches Können. Alle Künste des Kontrapunkts werden ausgereizt. Verschiedene Stilrichtungen von der Gregorianik bis zu Gustav Mahler sind  hier herauszuhören. So kam es wiederholt zu gewaltigen Staccato-Attacken und atemlosen chromatischen Höhenflügen, die ihresgleichen suchten. Polyphone Momente bereicherten Harmonien, Formen und Klangfarben in überaus schillernder Weise. Der majestätische Schluss-Satz mit der Zürcher Sing-Akademie und dem Chorwerk Ruhr gemahnte gar an Franz Liszt. Der Text stammt aus dem Versdrama "Aladdin" von Adam Oehlenschläger: "Hebt zu der ewigen Kraft eure Herzen..."

Jubel im Beethovensaal. Als "AusKlang" präsentierten fünf Blechbläser des SWR Symphonieorchesters noch einen "March" von Henry Purcell, eine "Morgenmusik" von Paul Hindemith sowie den "Abendsegen" aus Engelbert Humperdincks Oper "Hänsel und Gretel". Dabei triumphierten ebenso die kontrapunktischen Satzkünste und lyrischen Kantilenen.
 

 

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