"Entity", das Dasein, das Ding an sich, so betitelt der britische Choreograph Wayne McGregor seine jüngste Produktion, die am 10.04.2008 in London ihre Uraufführung fand.
Die Bühne ist durch drei halb hohe Wände begrenzt. In einer Schwarz-Weiß-Projektion auf die rückwärtige Wand hetzt zu Beginn der Aufführung ein Hund in einer Endlosschleife über den Projektionsschirm. Der Ausschnitt ist so gefasst, dass außer dem Hund nichts sichtbar ist. Das Ganze erinnert an die laborartigen Bewegungsstudien eines Eadwaerd Muybridge aus den Anfangszeiten der Fotographie.
In den folgenden 60 Minuten bewegen sich in der Inszenierung am Tanzhaus NRW vier Tänzerinnen und sechs Tänzer in atemberaubender Geschwindigkeit und mit großer Virtuosität über die Bühne. Auf den Boden werden algorithmische Formeln projiziert, an den Wänden erscheinen in rasender Schnelle mathematische Formeln, die zu Strichcodes mutieren und sich dann in einen Schwarm Vögel verwandeln. Köper verschlingen sich und strecken sich in perfektem Timing. Die Choreographie ist bis ins Letzte durchstrukturiert und bietet dem zuschauenden Auge nur in einer kleinen, etwas langsameren Quartett-Szene etwas Ruhe. Und das ist auch das Problem der gesamten Aufführung, dass nämlich der Blick nicht gelenkt wird, sondern alles scheinbar übergangslos ineinander zerfließt. Das enorme Tempo, anhaltend hoch gehalten, macht es schwer, Einzelheiten zu erinnern. Zu Ende hetzt wieder der Hund, diesmal in größerem Format, sozusagen als Klammer der Aufführung, über die Wand.
Wayne McGregor möchte mit "Entity" eine mögliche Verbindung von Tanz, Neurowissenschaften und Wahrnehmungsforschung eingehen bzw. erforschen. Das Resultat ist eine komplexe, sehr durchdachte, beinahe wissenschaftlich zu nennende, Choreographie, die unser technikverliebtes Zeitalter widerspiegelt, von hohem tänzerischen Können zeugt, aber eben auch den Verdacht an eine Versuchsreihe aufkommen lässt und daher eher den Verstand anspricht
Konzept, Künstlerische Leitung: Wayne McGregor
Choreografie: Wayne McGregor in Zusammenarbeit mit den Tänzern
Tanz: Neil Fleming Brown, Catarina Carvalho, Agnès López Rio, Paolo Mangiola, Angel Martinez Hernandez, Anh Ngoc Nguyen, Anna Nowak, Maxime Thomas, Antoine Vereecken, Jessica M. Wright
Musikkomposition I: Joby Talbot, eingespielt vom Navarra Quartett
Musikkomposition II: Jon Hopkins
Lichtdesign: Lucy Carter
Videodesign: Ravi Deepres
Bühne, Kostüme: Patrick Burnier. © Ravis Deprees