Am Morgen noch sitzt er gefangen hinter den Gittern seines Kassenraums und die laufenden Geldgeschäfte sind ihm bedeutungslose Routine. Aber urplötzlich erscheint ihm Geld in neuem Licht: Die geheimnisvolle fremde Dame, deren Wechsel vom Direktor in Frage gestellt wurde, schlägt den Kassierer so in Bann, dass er mit 60.000 Mark durchbrennt, um mit der Fremden ins aufregende Leben zu entfliehen. Die Dame weist ihn zwar zurück; mit seinem plötzlichen Reichtum ist ihre Liebe schon einmal nicht käuflich, doch für den Kassierer startet eine eintägige Passion. Wofür denn überhaupt lohnt sich „der volle Einsatz“? In Form eines wilden, zügellosen Stationendramas durchmisst Kaiser zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Spektrum existenzialistischer Prüfungen und konfrontiert den Modernen Menschen mit sich selbst.
Georg Kaiser ist einer der bedeutendsten Vertreter des literarischen Expressionismus. Gemeinsam mit Gerhart Hauptmann beherrschte Kaiser die Spielpläne der Weimarer Republik. Die namenlosen, überhöhten Figuren sowie die Aufteilung der Handlung auf verschiedene Stationen sind bei Von morgens bis mitternachts typisch für das expressionistische Drama. Gemäß dessen Programmatik ersehnt der Mensch die eigene „Menschheitsdämmerung“, in der er in wahrer Leidenschaft physisch mit der „Welt“ verschmilzt und das „Eigentliche“ zu finden im Stande ist. Mit dem Pathos dieser Erkenntnis spielt der Stoff vor dem Hintergrund der Sinn- und Finanzkrise unserer Tage mit der Fremdheit und der Ohnmacht unserer alltäglichen Überforderung. Eine Hoffnung: Leben jetzt – ohne Gestern – als wäre es der letzte Tag. Als Spiel.
Uwe Bautz
mit Mareike Beykirch, Günther Harder, Carolin Haupt, Zenzi Huber, Matthias Hummitzsch, Andreas Keller, Guido Lambrecht, Birgit Unterweger
Regie: Christiane Pohle
Bühne: Maria-Alice Bahra
Kostüme: Sara Kittelmann
Musik: Ernst Surberg
Dramaturgie: Uwe Bautz