Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
Von einem der auszog, das Fürchten zu lernenVon einem der auszog, das Fürchten zu lernenVon einem der auszog,...

Von einem der auszog, das Fürchten zu lernen

"Siegfried" von Richard Wagner in der Deutsche Oper am Rhein

Endlich geklärt: Der Lindwurm ist kein drachenartiges Wesen, sondern ein Dampf-Pflug aus der frühindustriellen Zeit. Überhaupt spielt so etwas wie märchenhafte, romantische Verklärung in Dietrich W. Hilsdorfs Inszenierung des "Siegfried" von Richard Wagner für die Deutsche Oper am Rhein keine große Rolle. Stattdessen muss sich der Zuschauer mit einem industrial chic beim Bühnenbild begnügen. Feuer lodert, Stahl wird gehämmert, wir sind in Mimes Schmiede. Mime sitzt in einem alten Friseurstuhl und schaut sich seine glorreichen Zeiten als großformatiges Video an. Über die Wandscreens hüpft eine Singdrossel, die auf Elena Sancho Pereg als wundervoller Waldvogel vorausdeutet.

 

Copyright: Hans Jörg Michel

Zur Selbstfindung hatte sich Simon Neal als Wotan das Wandern angeeignet, unterstützt von einem Fahrrad. Resigniert zieht sich  Wotan zurück, nachdem sein Enkelsohn Siegfried ihm seinen Speer mit dem neugeschmiedeten Schwert Nothung in Nullkommanichts zerbrochen hat; seine Macht ist damit ebenfalls gebrochen.

Siegfried selbst ist kein strahlender Held, sondern ein pubertierendes Riesenbaby, das arglos, unbedarft und unbekümmert durch den Wald bzw. hier ja durch die Werkstatt stapft. Mit seinen 33 Jahren weiß er immer noch nichts über seine Herkunft, und auch ganz allgemein ist er der Aufklärung bedürftig. Kein Wunder also, dass Brünnhilde als sie von ihm aus ihrem ewigen Schlaf geweckt wird, gar nicht wieder zu sich kommt, wahrscheinlich hatte sie sich ihren Retter anders vorgestellt. So ist die Liebesszene, auf die ja die ganze Oper hinströmt, auch nicht das Highlight des Abends, zu abgewandt agieren Linda Watson als Brünnhilde und Michael Weinius als Siegfried. Ein Liebesrausch geht anders.

Fast beiläufig wird diese Sage vom Streben nach Reichtum und Macht bzw. Machterhalt erzählt. Alles Märchenhafte erscheint als logische Folge. Angereichert hat Dietrich W. Hilsdorf seine Inszenierung mit kleinen Spitzfindigkeiten wie das Heruntersausenlassen des Friseurstuhls oder das Fahrradaufpumpen. Dunkel ist es auf der Bühne wie in einer unbeleuchteten Werkhalle. Irgendwie wird man den Verdacht nicht los, dass Hilsdorf den ganzen märchenhaften Wagner-Klimbim zaghaft persifliert, hier findet sich jedenfalls nichts von weihevollem Götterspiel.

Gesanglich und musikalisch war die Besetzung in ganzer Linie überzeugend. Und die wahre Überraschung an diesem Abend ist Cornel Frey als Mime, der allen übrigen Protagonisten die Show stiehlt, klar artikuliert und intoniert, dazu sein gekonntes Spielen, ein Genuss!

Den Zuschauern gefiel es und sie zeigten sich ob dieser Gesamtleistung wieder sehr euphorisch.

Musikalische Leitung: Axel Kober
Inszenierung: Dietrich W. Hilsdorf
Bühne: Dieter Richter
Kostüme: Renate Schmitzer
Licht: Volker Weinhart
Dramaturgie: Bernhard F. Loges

Siegfried: Michael Weinius
Mime: Cornel Frey
Der Wanderer: Simon Neal
Alberich: Jürgen Linn
Fafner: Thorsten Grümbel
Erda: Christa Mayer
Brünnhilde: Linda Watson
Waldvogel: Elena Sancho Pereg
Düsseldorfer Symphoniker

Premiere 7. April 2018, Opernhaus Düsseldorf

 

 

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 14 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

BEWEGENDE NATURSCHILDERUNGEN -- Stuttgarter Philharmoniker mit der "Alpensinfonie" von Richard Strauss in der Liederhalle STUTTGART

"Erhabene Landschaften" standen diesmal im Mittelpunkt. Zunächst musizierten die Stuttgarter Philharmoniker unter der kompetenten Leitung von Frank Beermann die "Grand Canyon Suite" aus dem Jahre 1931…

Von: ALEXANDER WALTHER

DRAMATISCHE AUSDRUCKSKRAFT -- Neue CD "Letzte Lieder" mit Sebastian Naglatzki und Ana Miceva, beim Label Genuin erschienen

Mit ihrem Album "Letzte Lieder" widmen sich die Pianistin Ana Miceva und der Bassbariton Sebastian Naglatzki den letzten Liedkompositionen von Franz Schubert, Johannes Brahms, Hugo Wolf und Maurice…

Von: ALEXANDER WALTHER

DER TEUFELSGEIGER ALS GITARRIST -- Ensemble Visconti Plus im Schloss BIETIGHEIM-BISSINGEN

Das Visconti-Quartett wurde 2006 aus Mitgliedern der "sueddeutschen kammersinfonie bietigheim" und Lehrern der Bietigheim-Bissinger Musikschule gegründet. Der Name dieses Ensembles geht auf die aus…

Von: ALEXANDER WALTHER

BLICK IN DEN DIGITALEN ABGRUND -- Premiere "KI essen Seele auf" von Thomas Köck im Kammertheater STUTTGART

In Regie, Konzept Bühne & Kostüm von Mateja Meded taucht der Zuschauer in die bizarre Welt der Künstlichen Intelligenz immer tiefer ein, weil es die drei hervorragenden Schauspielerinnen Therese Dörr,…

Von: ALEXANDER WALTHER

MEISTER INTENSIVER KLANGFLÄCHEN -- Konzert des SWR Symphonieorchesters zum 90. Geburtstag von Helmut Lachenmann in der Liederhalle STUTTGART

Unter der inspirierenden Leitung von Francois-Xavier Roth musizierte das SWR Symphonieorchester zwei wichtige Werke zum 90. Geburtstag von Helmut Lachenmann, der beim Konzert anwesend war. Zunächst…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑