Ein Tisch, zwei Stühle, Mikrofone, ein Plattenspieler, T-Shirts, zwei Anzüge und kühl konstruierte Neonpopmusik aus den 80ern wie NEU! und mathématiques modernes sind die Requisiten seiner Spielanordnung. Masochismus nicht als Antipode zum Sadismus, sondern als Diskurs von männlichen und weiblichen Rollenbildern.
Severin von Kusiemski trifft als junger Mann die junge und reiche Witwe Wanda von Dunajew. Von ihrer Schönheit, die ihn an die verehrte griechische Venus erinnert, fasziniert, bittet er sie, ihn zu heiraten. Wanda schlägt ihm stattdessen eine einjährige Probezeit vor, gibt aber seinem dringlichsten Wunsch nach, seine Herrin zu werden. So verwandelt sich Severin auf einer Reise nach Italien zu Wandas Sklaven Gregor. Sie erfüllt vollständig seine Fantasie eines schönen Weibes, das seinen Sklaven despotisch unterwirft und (auch grundlos) physisch und psychisch quält. Doch immer wieder fällt Wanda aus ihrer Rolle und ist stundenweise die liebende, zärtliche Geliebte.
Je länger dieses Verhältnis besteht, desto weniger kann Severin mit Wandas Verehrern umgehen. Da er sich aber vertraglich auf eine bestimmte Dauer als ihr Sklave verpflichtet hat, sieht er keinen anderen Ausweg, als sich selbst zu töten. Dazu fehlt ihm in letzter Konsequenz der Antrieb, denn trotz seines Leidens an der Situation, kann sich Severin nicht aus seiner masochistischen Fantasie befreien. Erst als Wanda ihn verrät, scheint Severin „geheilt“, kehrt zurück auf das Gut des Vaters und nimmt sein vorheriges Leben wieder auf.
Der masochistische Vertrag: „Herr Severin von Kusiemski hört mit dem heutigen Tage auf, der Bräutigam der Frau Wanda von Dunajew zu sein und verzichtet auf alle seine Rechte als Geliebter; er verpflichtet sich dagegen mit seinem Ehrenworte als Mann und Edelmann, fortan der Sklave derselben zu sein und zwar solange sie ihm nicht selbst die Freiheit zurückgibt. Er hat als ihr Sklave unbedingt jeden ihrer Wünsche zu erfüllen, jedem ihrer Befehle zu gehorchen, seiner Herrin mit Unterwürfigkeit zu begegnen, jedes Zeichen ihrer Gunst als eine außerordentliche Gnade anzusehen. Sie darf ihren Sklaven nicht allein bei dem geringsten Versehen oder Vergehen nach Gutdünken strafen, sondern sie hat auch das Recht, ihn nach Laune oder nur zu ihrem Zeitvertreib zu misshandeln, wie es ihr eben gefällt, ja sogar zu töten, wenn es ihr beliebt, kurz, er ist ihr unbeschränktes Eigentum. Sollte sie ihrem Sklaven je die Freiheit schenken, so hat dieser alles, was er als Sklave erfahren oder erduldet, zu vergessen und nie und niemals, unter keinen Umständen und in keiner Weise an Rache oder Wiedervergeltung zu denken. Sie verspricht dagegen, als seine Herrin so oft als möglich im Pelz zu erscheinen, besonders wenn sie gegen ihren Sklaven grausam sein wird.“
„Es ist nie der Schmerz als solcher, der ursprünglich gewollt ist, so sehr dies auch den Anschein hat, sondern etwas, was mit dem Schmerz, zugleich mit ihm, vor oder nach ihm, als Vorbote, Begleitung oder Folge eintritt.“ (Theodor Reik)
Heutzutage, da das Wissen über ausgefallenere Sexpraktiken bereits zum geistigen Handgepäck eines Teenagers gehört, muss niemand mehr darüber aufgeklärt werden, dass dieser Severin von Kusiemski ein Anhänger der Praktik war, die nach dem Namen des österreichischen Schriftstellers Leopold von Sacher-Masoch (geboren am 27. Jänner 1836 in Galizien und gestorben 9. März 1895 im oberhessischen Lindheim) benannt wurde. Der Masochismus, den Masoch beschreibt, ist jene sexuelle Spielart, die nicht etwa die Sklavenpeitsche als zusätzlichen sexuellen Reiz betrachtet, sondern als Akt statt dessen.
Masoch liebte die Züchtigung nicht nur literarisch, sondern wünschte sich auch selbst, in Zucht gehalten zu werden. So ähnelt der obenstehende Vertrag aus der Novelle Venus im Pelz jenen Abkommen, die der Autor mehrfach einging. Aus der Realität seines ersten Vertrages 1869 mit Fanny von Pistor entstand im selben Jahr die Novelle Venus im Pelz. Aus dieser wurde wiederum Realität, als eine Leserin, das Fräulein Rümelin, einen Briefwechsel mit Masoch begann, den Romannamen Wanda von Dunajew annahm und einen schriftlichen Vertrag mit Masoch abschloss, der ihr das Recht zugestand, ihn „durch alle erdenklichen Qualen bis zu Tode zu martern“.
Diese durch Literatur herbeigerufene Wanda hat Masoch selbstverständlich nicht getötet, sie hat ihn stattdessen geheiratet, denn der Masochist vom Schlage Masoch will nicht wirklich Sklave sein, er will den Sklaven nur spielen. Zwar sollen die Peitschenhiebe echt niedersausen, doch muss der Gepeitschte dabei immer fühlen, dass seine Wanda ihn aus lauter Liebe schlägt. Sobald er Hass bei ihr zu spüren meint, sind für ihn die Regeln gebrochen und bricht er das Spiel jählings ab. Ohne das Bewusstsein, dass auch die Herrin eine Rolle spielt, macht ihm seine Sklavenrolle keinen Spaß.
Leopold von Sacher-Masoch hat mit seinem Vertrag von Anbeginn des Spiels eine Abmachung eingeführt, die wiederum schwer erträgliche Bilder fixierte. Ein devoter, gehorsamer, ergebener, selbstloser Mann legt sich einer Frau zu Füßen und lechzt danach, schlecht behandelt zu werden. Für das männliche Ethos unserer Kultur schwer duldbar geradezu eine Ohrfeige an den erigierten heterosexuellen Tempel der Männlichkeit.
Doch wenn man präziser hinschaut, ist der masochistische Part weit weniger entfernt von der Unschuld, hat genauer betrachtet sogar etwas Listiges an sich, etwas Unaufrichtiges, etwas Feiges. 1940 lieferte Theodor Reik eine umfassende Studie über „die dunkle Sehnsucht nach Leiden“. Er überführt den Masochismus als eine nur vermeintlich passive Haltung und enttarnt ihn als Provokation. Reik macht auf ein entscheidendes Detail aufmerksam: „Die Unlust wird nicht aufrichtig gefühlt.“ Er entdeckt statt ihr eher Trotz, Hohn, Auflehnung, Rachsucht. Durch die Darstellung des Gegenteils stellt die masochistische Haltung eine Flucht nach vorne dar, bei der der Trotz, als übertriebener Ausdruck der Selbstverhöhnung, kein „kleinliches Streben, recht zu behalten“ darstellt, sondern hinter dem sich „die wichtigsten Interessen des Individuums verbergen“. Dieses „Virtuosenstücken des Ichs entpuppt sich als tückische Rebellion: Seine Sabotage nimmt die Gestalt völliger Fügsamkeit an. Dass er (der Masochist) sich nicht wehrt, das ist sein Widerstand.“
Also können die gewollten, lustspendenden Schläge als ein Täuschungsmanöver angesehen werden. Die Aggression wird an das Gegenüber delegiert. Eine aggressive Ausgangsposition hat das Szenario so geschickt umgedreht, dass dem anderen das Ausführen der aggressiven Anteile überlassen wird. Eine geschickte, tückische Rollenverteilung, die vor allem eines erreicht: von der eigenen Aggression abzulenken.
Sacher-Masoch glaubte an die „Umkehrung im Verhältnis der Geschlechter zueinander“. In einem 1881 unter dem Titel Frauen im Pelz veröffentlichten Text behauptet er: „Es ist nicht unmöglich, dass früher oder später eine Umkehrung der Beziehungen zwischen den Geschlechtern stattfinden wird und dass dann die Frauen in allen Bereichen offen und legal die Männer regieren werden, denn eigentlich regieren die Frauen ja schon heimlich und bald wird man eher von der Emanzipation des Mannes als von der der Frau sprechen.“ Mit diesen prophetischen Worten blickte Masoch weit und genau in die Zukunft, unsere Gegenwart.
Inszenierung André Turnheim
Kostüm Barbara Aigner
Musik Stefan Schreck
Dramaturgie Elke Ranzinger
Raum Florian Parbs
Szenische Einrichtung Aigner/Schreck/Turnheim
Mit Anna Mendelssohn, Peter Pertusini
Weitere Termine 29. September 2009; 1., 14., 15., 24. und 27. Oktober 2009