Aufstieg, Fall und Wiederauferstehung einer Knalltüte. Der Kremlflieger als Phänomen: Je näher man ihm zu kommen glaubt, desto unschärfer gerät er, je mehr man versucht, ihn zu durchdringen, desto mehr entzieht er sich. Und trotzdem wird Rust unbestritten als einer der größten Helden der Nachkriegsgeschichte gehandelt. Studio Braun erzählt eine deutsche Biographie der 80er Jahre, ein Spiegelbild der Ära Kohl: Gleich neben der historischen Großtat strahlt das absolute Nichts, vernehmlich bleibt nur der dumpfe Klang eines gigantischen Hohlraumes.
Vorgetragen wird ein allegorisches Husarenstück: Die Verrustung der Welt am Beispiel des Protagonisten selbst! Studio Braun, der schmierig schillernde Theaterschmetterling mit dem fleischigen Rumpf, bedient sich am hysterischen Heimatmaterial: Vereinigt Rust doch wie kein Zweiter hanseatische Großmannssucht und jugendliche Allmachtsphantasien mit der deutschesten aller Erfindungen: dem Fliegen. Von Wedel aus gen Moskau. Von Deutschland über die ganze Welt. Nach der Landung auf dem Roten Platz und der Aufmerksamkeit von Millionen folgt der bespiellose Niedergang durch Mietvagabundentum, Pulloverklau und sexuelle Nötigung.
Dann ein plötzlicher Richtungswechsel, hinein in die Zauberwelt der Selbstschöpfung: Nach Gründung der weltumspannenden Gelehrtenorganisation »Orion & Isis« versucht sich Rust als Yogalehrer und professioneller Pokerspieler, bis ihm der Coup seines Lebens gelingt: Rust wird Herrscher eines eigenen Landes, des utopischen Staates Lagonia. Studio Braun im Glück: Das ist der Stoff, der sich fast wie von selbst zu psychedelischem Volkstheater verdichtet. Und wer könnte diese Tour de Force besser verkörpern als der spindeldürre Bühnenderwisch Fabian Hinrichs – martialischer Vielredner mit einem Blick, an dem man die Wäsche aufhängen könnte.
»Rust – Ein deutscher Messias«: Studio Braun zerlegt die Wirklichkeit in Pixelpunkte, ein fortgesetztes Brechen, Splittern und Reißen. Neuronenherrschaft, Begierderückstände, Bedeutungscluster, Auswurf eines Scheins. »Rust – Ein deutscher Messias« ist mehr als vollendete Kunstfertigkeit, Materialbeherrschung, Virtuosität: Es ist das Epizentrum eines großen Schweigens, das sich in unserem Inneren ausdehnt, durch dessen Hohlformen das längst Durchlebte in unversiegbarer Verdünnung rinnt. »Rust – Ein deutscher Messias«, der neue Blockbuster von Studio Braun.
Regie Studio Braun (Rocko Schamoni, Heinz Strunk, Jacques Palminger)
Bühne Damian Hitz
Kostüme Dorle Bahlburg
Musik Lieven Brunckhorst, Carsten »Erobique« Meyer, Matthias »Tex« Strzoda
Choreografie Rica Blunck
Licht Rebekka Dahnke
Dramaturgie Gabriella Bußacker
Video/Animation Marcel Didolff, Felix Schlüter
Leitung Neuer Knabenchor Hamburg Ulrich Kaiser
Mit Rica Blunck, Lieven Brunckhorst, Stephan »Partyschaum« Cay, Katja Danowski, Fabian Hinrichs, Juliane Koren, Hanns Jörg Krumpholz, Carsten »Erobique« Meyer, Jacques Palminger, Jens Rachut, Rocko Schamoni, Jana Schulz, Tristan Seith, Heinz Strunk, Matthias »Tex« Strzoda
Sowie Neuer Knabenchor Hamburg
Weitere Termine:191
26.10.2010, 20:00 Uhr
29.10.2010, 20:00 Uhr
04.11.2010, 20:00 Uhr
12.11.2010, 20:00 Uhr
29.11.2010, 20:00 Uhr
07.12.2010, 20:00 Uhr
www.schauspielhaus.de