Denn dieser hat keinen blanken Schimmer davon, wie es sich anfühlt sich zu fürchten. Wenn Vater und Bruder abends am Kaminfeuer wohlig schaudernd Gespenstergeschichten lauschen, zieht sich der Junge lieber zurück, da er dem Vergnügen nichts abgewinnen kann. Und so macht ihn seine Unerschrockenheit zunehmend einsam. Getrieben von dem verzweifelten Wunsch, sich endlich ordentlich zu ängstigen, stellt er sich einer unheimlichen Aufgabe nach der anderen. Er verbringt eine Nacht am Fuße eines Galgens. Doch statt Unbehagen empfindet er Mitleid für die im kalten Wind wehenden Gehenkten, die er – ungeachtet der Sinnlosigkeit seines Tuns – kurzerhand abschneidet und zu sich an das wärmende Feuer holt. Zuletzt zieht er in ein verfluchtes Schloss, in dem eine ganze Schar von Geistern Nacht für Nacht die schaurigsten Darbietungen zum Besten gibt.
Hier wiederholt sich das Spiel auf ähnliche Weise: Statt vor Schrecken das Weite zu suchen, freut sich der Junge über die nächtliche Abwechslung und die willkommene Gesellschaft. Für die Gespenster eine neue und ernüchternde Erfahrung. Der Furchtlosigkeit ihrer Wirkung beraubt, erscheinen sie plötzlich als Witzfiguren, die sich kleinlaut um Mitternacht davon stehlen, ohne dem Jungen auch nur ein Haar zu krümmen. So wird der Furchtlose als Held gefeiert und erhält die Königstochter zur Frau. Ihr gelingt es am Ende, ihm seinen größten Wunsch tatsächlich zu erfüllen.
Komponist Ernst August Klötzke macht mit Regisseur Michael Miensopust aus dem Grimmschen Märchen ein elektronisches Musiktheater für Kinder. Teils auf Geräuschen basierende Computerklänge lassen über Lautsprecher Klangwelten entstehen, die in dieser Form mit Instrumenten nicht herstellbar wären und die Kinder und Jugendliche vielfach offener aufnehmen als mancher Erwachsene. Für die so entstehende künstliche Traumwelt verwandelt Kostüm- und Bühnenbildnerin Cornelia Brey die Studiobühne des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden in ein altes, heruntergekommenes doch gleichzeitig märchenhaftes Varieté, in dem Figuren auftreten, die an Fellinis „La Strada“ oder „Die Adams Family“ erinnern.
Inszenierung Michael Miensopust
Musik Ernst August Klötzke
Bühne und Kostüme Cornelia Brey
Eine Kooperation des Jungen Staatstheaters mit der musik-theater-werkstatt.
Mit: Annette Müller, Elke Opitz, Oda Zuschneid, Charles Toulouse, Oliver Wronka und Wolfgang Zarnack
Weitere Vorstellungen: Montag, 12. Mai, 16.00 Uhr, Dienstag, 13. Mai, 11.00 Uhr im Studio