Er ist ein kleiner Angestellter, sie hat gerade ihre Arbeit in einem Drogeriemarkt verloren. In Zukunft müssen sie mit einem Gehalt auskommen. Da werden die monatlichen Raten für das Haus zu einer erdrückenden Last. Die beiden fassen den Entschluss, das Zimmer der erwachsenen Tochter, die weit weg von zu Hause studiert, zu vermieten. Doch die Reihenhaussiedlung am Rande der Stadt ist nicht der Lebensort, den junge Leute suchen. Elli und Tom bekommen von den Interessenten eine Absage nach der anderen. Ihr Lebensglück vom kleinen Häuschen mit einem kleinen Gärtchen ist für die nachfolgende Generation nicht mehr attraktiv. Dabei war ihre Vineta-Siedlung vor 20 Jahren mal eine feine Adresse. „So sah unser Glück aus: ein Kugelgrill und drei Klappstühle... Und trotzdem: Geborgtes Glück. Ein Kind muss doch einen Garten haben... Das war ein Versprechen. Jeder trägt seinen Teil dazu bei. Aber wenn einer nicht mehr kann, bricht alles zusammen, dann geht das Glück. Es geht zurück an die Bank, weil ich keine Seife mehr in Regale packen darf“, resümiert Elli.
Doch eines Tages kommt ein junger Mann, für den das „luxuriöse Zimmer im Grünen“ wie sie es in der Anzeige formulieren, genau das richtige zu sein scheint. Die Vineta-Siedlung sei angeblich schon seit seiner Kindheit ein Sehnsuchtsort für ihn gewesen. Der junge Mann wird der Strohhalm, an den sie sich klammern, dem sie alles recht machen wollen. Er beginnt ein absurdes Spiel mit den beiden und wird so zum Befreier ihrer tief in sich vergrabenen Wünsche, die es einmal gab, bevor das Reihenhaus zur Fessel für sie wurde.
Nach dem Erfolg ihrer Romane „Kürzere Tage“ und „Am schwarzen Berg“ hat Anna Katharina Hahn jetzt ihr zweites Theaterstück geschrieben – nach dem Monolog „Die letzte Stufe“ wiederum als Auftragswerk für das Theater Heilbronn. Regie führt der Heilbronner Intendant Axel Vornam.
Wie auch in ihren Romanen und Erzählungen besticht Anna Katharina Hahn in „Die Schatzsucher“ mit ihrer Kunst, Menschen zugleich mit liebevollem und schonungslos entlarvendem Blick zu charakterisieren. Sie erzählt eine Geschichte, die leicht, humorvoll und tieftraurig ist – märchenhaft absurd und doch mitten aus unserem Leben gegriffen. Sie selbst nennt „Die Schatzsucher“ eine „komische Tragödie“.
Die Sprache der Figuren ist sehr kunstvoll, bildhaft und bedient sich märchenhafter Symbole. Was die Autorin in einem Interview zu ihrem jüngsten Roman „Am schwarzen Berg“ sagte, trifft auch auf „Die Schatzsucher“ zu, die unmittelbar danach entstanden sind: „Schicht- und Milieuzuordnungen sind Hilfskonstruktionen, um unsere Stellung in der Gesellschaft zu definieren. Allerdings sind unsere heutigen Milieus instabil geworden. Wir fühlen uns ihnen zugehörig, und zugleich befürchtet jeder, dass sich die eigene Schicht, die eigene Berufsgruppe, das eigene Land fast über Nacht verändern könnte, zum Negativen hin. Das lässt sich vor allem beim sogenannten Bürgertum beobachten ... Die Chance der Literatur besteht darin, das einzufangen, was den professionellen Kommentatoren des Tagesgeschehens entgeht – die Wirkung bestimmter Zeitläufe auf den Einzelnen, Gefühle, Stimmungen, Zerrissenheit, Selbstbetrug, das Unsagbare. Wir wollen vom Leben und seinen Geheimnissen erzählen ... Wie jeder echte Schwarzseher hoffe ich im tiefsten Inneren, alles möge doch noch gut enden.“
Regie: Axel Vornam
Ausstattung: Tom Musch
Dramaturgie: Stefanie Symmank
Mit: Sabine Unger (Elli), Stefan Eichberg (Tom), Peter Volksdorf (Junger Mann)
Die nächsten Vorstellungstermine: 7. März , 15. März (geschl. Veranstaltung), 28. März – jeweils 20 Uhr
Wie auch in ihren Romanen ist das so gefährdete Glück der Mittelschicht zentrales Thema von Anna Katharina Hahn. Mit dem für sie charakteristischen Röntgenblick schaut sie auch als Dramatikerin hinter die Fassaden der nur scheinbar heilen bürgerlichen Welt.