Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
Uraufführung: "Katharsis" nach Geschichten aus Olga Tokarczuks 'Unrast' im Burgtheater WienUraufführung: "Katharsis" nach Geschichten aus Olga Tokarczuks 'Unrast' im...Uraufführung:...

Uraufführung: "Katharsis" nach Geschichten aus Olga Tokarczuks 'Unrast' im Burgtheater Wien

Premiere am 18. März 2023 im Akademietheater

In Olga Tokarczuks Fragmentroman UNRAST sind die Körper der Menschen in Bewegung – die der Lebenden wie die der Toten. Sie reisen, sie werden beschaut, sie gehen verloren, sie werden seziert. Wie aber die Lebenden mit den Körpern ihrer Toten umgehen, was sie mit ihnen tun und wie, wer wann wen anschaut, das sind keine Fragen unter anderen – entlang des Umgangs mit den Toten lassen sich einer Kultur, einer ganzen Epoche ihre Untiefen abhorchen.

Olga Tokarczuk streut in UNRAST drei Briefe ein, die sie mit dem Absender Josephine Soliman unterschreibt: Briefe des Protests und des Widerstandes an den amtierenden Kaiser Franz II. (1768-1835). Josephine war “die erste dokumentierte Frau aus der Black Austrian Community, die sich gegen die koloniale Staatsgewalt auflehnte” (Anouk Shad). Ihr Vater war Mmadi Make, als Kind von Sklavenhändler*innen aus seiner westafrikanischen Heimat verschleppt, in Europa auf den Namen Angelo Soliman getauft, wo er aus der Position eines Dieners in die höchsten gesellschaftlichen Kreise des Habsburgerreiches aufstieg und zum “berühmtesten Schwarzen Menschen im Wien des 18. Jahrhunderts” (Shad) wurde. Nach seinem Tod wurde sein Leichnam als Ausstellungsobjekt für das Hof-Naturalienkabinett präpariert und den Blicken der Lebenden unterworfen.  
 
In diesen drei intensiven Briefen bittet Josephine, wie eine Antigone im 18. Jahrhundert, ihren Vater bestatten zu dürfen und seinem Körper so die Würde und Totenruhe zurückzugeben. Als die kaiserliche Antwort ausbleibt, verwandelt sich ihre Bitte in Zorn. Auf der Rückseite des Denkens der Aufklärung, das vordergründig Wissenschaft, Forschung, Gleichheit, die bürgerliche Revolution, das Theater (ja, das Schauen selbst) feierte, werden in Europa streng hierarchische Welteinteilungen vorgenommen und “das systematische Konstrukt der Rassentheorie als nachträgliche Rationalisierung der Gräueltaten der Kolonialmächte” durchgesetzt (Shad).  

In ihrer dritten Arbeit im Akademietheater kreist das Regie- und Autorenduo Dead Centre, inspiriert von Tokarczuks Briefen, gemeinsam mit dem Ensemble um die Leerstelle, die der Umgang mit Mmadi Makes / Angelo Solimans Körper buchstäblich in die österreichisch Geschichte gerissen hat, um die Konstruktion des kulturell Anderen und das Trauma, das bis heute mit seinem Namen verbunden ist – aber auch um das Versprechen auf eine andere Welt, das in seinem bemerkenswerten Leben aufgehoben ist.

Deutsch von Victor Schlothauer

Regie
Dead Centre
Bühne
Jeremy Herbert
Kostüme
Mirjam Pleines
Musik
Kevin Gleeson
Licht
Marcus Loran
Video
Sophie Lux
Dramaturgie
Alexander Kerlin
Sensitivity Reading & Beratung
Daniel Romuald Bitouh (afrieurotext.at)

mit
Ernest Allan Hausmann, Philipp Hauß, Dagna Litzenberger Vinet, Safira Robens, Johannes Zirner

Live Kamera
Julia Janina Várkonyi,
Andrea Gabriel

Nächste Vorstellungen am 21., 26., 31. März sowie am 6. April 2023

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 14 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

PLÖTZLICH GIBT ES ZWEI KOBOLDE -- "Meister Eder und sein Pumuckl" mit der Jungen Württembergischen Landesbühne Esslingen in der Kelter Bietigheim

"Niemand muss an Kobolde glauben". Davon ist Meister Eder überzeugt. Julian Häuser und Philip Spreen schlüpfen virtuos in unterschiedliche Rollen. In der Bühnenfassung und Regie von Jan Müller (Bühne…

Von: ALEXANDER WALTHER

SONGS IN UNGEWÖHNLICHEM ARRANGEMENT -- Orchesterkonzert Jewish Pop im Schauspielhaus STUTTGART

In den vergangenen Jahren war "Jewish Jazz" der Schwerpunkt. Nun erkundet das 2005 gegründete Jewish Chamber Orchestra Munich unter der einfühlsamen Leitung von Daniel Grossmann die Popmusikgeschichte…

Von: ALEXANDER WALTHER

UNHEIMLICHE VERWANDLUNGEN -- "Der Untergang des Hauses Usher" mit dem Studiengang Figurentheater der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart im Wilhelma Theater Stuttgart

Sehr viele technische Tricks und faszinierende Einfälle besitzt diese gelungene Produktion des Studiengangs Figurentheater. In der suggestiven Regie von Stephanie Rinke können sich die gespenstischen…

Von: ALEXANDER WALTHER

AUS DEM DUNKEL INS LICHT -- Neue CD: Die Würth Philharmoniker und Thomas Hampson (Bariton) bei hänssler Classic

Das dritte Album der Würth Philharmoniker unter der Leitung ihres Chefdirigenten Claudio Vandelli präsentiert den berühmten US-amerikanischen Bariton Thomas Hampson. Die Würth Philharmoniker, die auf…

Von: ALEXANDER WALTHER

NORDISCHE KLANGFARBEN -- Neue CD "Northern Colours" mit Felix Klieser (Horn) bei Berlin Classics erschienen

Im Zentrum des neuen Albums von Felix Klieser (Horn) steht das inspirierende Werk "Soundscape - A Walk in Colours" op. 118 von Rolf Martinsson, der 1956 in Schweden geboren wurde. Der Komponist hat…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑
StartseiteBeiträgeKritikenHintergründeTheatermacherServiceFachbegriffeSuche