Olga Tokarczuk streut in UNRAST drei Briefe ein, die sie mit dem Absender Josephine Soliman unterschreibt: Briefe des Protests und des Widerstandes an den amtierenden Kaiser Franz II. (1768-1835). Josephine war “die erste dokumentierte Frau aus der Black Austrian Community, die sich gegen die koloniale Staatsgewalt auflehnte” (Anouk Shad). Ihr Vater war Mmadi Make, als Kind von Sklavenhändler*innen aus seiner westafrikanischen Heimat verschleppt, in Europa auf den Namen Angelo Soliman getauft, wo er aus der Position eines Dieners in die höchsten gesellschaftlichen Kreise des Habsburgerreiches aufstieg und zum “berühmtesten Schwarzen Menschen im Wien des 18. Jahrhunderts” (Shad) wurde. Nach seinem Tod wurde sein Leichnam als Ausstellungsobjekt für das Hof-Naturalienkabinett präpariert und den Blicken der Lebenden unterworfen.
In diesen drei intensiven Briefen bittet Josephine, wie eine Antigone im 18. Jahrhundert, ihren Vater bestatten zu dürfen und seinem Körper so die Würde und Totenruhe zurückzugeben. Als die kaiserliche Antwort ausbleibt, verwandelt sich ihre Bitte in Zorn. Auf der Rückseite des Denkens der Aufklärung, das vordergründig Wissenschaft, Forschung, Gleichheit, die bürgerliche Revolution, das Theater (ja, das Schauen selbst) feierte, werden in Europa streng hierarchische Welteinteilungen vorgenommen und “das systematische Konstrukt der Rassentheorie als nachträgliche Rationalisierung der Gräueltaten der Kolonialmächte” durchgesetzt (Shad).
In ihrer dritten Arbeit im Akademietheater kreist das Regie- und Autorenduo Dead Centre, inspiriert von Tokarczuks Briefen, gemeinsam mit dem Ensemble um die Leerstelle, die der Umgang mit Mmadi Makes / Angelo Solimans Körper buchstäblich in die österreichisch Geschichte gerissen hat, um die Konstruktion des kulturell Anderen und das Trauma, das bis heute mit seinem Namen verbunden ist – aber auch um das Versprechen auf eine andere Welt, das in seinem bemerkenswerten Leben aufgehoben ist.
Deutsch von Victor Schlothauer
Regie
Dead Centre
Bühne
Jeremy Herbert
Kostüme
Mirjam Pleines
Musik
Kevin Gleeson
Licht
Marcus Loran
Video
Sophie Lux
Dramaturgie
Alexander Kerlin
Sensitivity Reading & Beratung
Daniel Romuald Bitouh (afrieurotext.at)
mit
Ernest Allan Hausmann, Philipp Hauß, Dagna Litzenberger Vinet, Safira Robens, Johannes Zirner
Live Kamera
Julia Janina Várkonyi,
Andrea Gabriel
Nächste Vorstellungen am 21., 26., 31. März sowie am 6. April 2023