1945 wurde Taiwan als „Republic of China” eines der Gründungsmitglieder der Vereinten Nationen und ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Aber 1971 stellte Richard Nixon die Beziehungen der USA zum chinesischen Festland wieder her, und die „Republic of China“ musste die Vereinten Nationen verlassen. Seitdem kämpft Taiwan um diplomatische Anerkennung. Nur in einem Dutzend Ländern rund um den Erdball haben seine diplomatischen Vertretungen den Status einer Botschaft. Während Taiwan einerseits über zahlreiche internationale Freunde und Handelspartner verfügt, kann es sich keine Nation leisten, die Beziehungen zur Wirtschaftsmacht China abzubrechen, und so wird Taiwan weder in Österreich noch sonst einem europäischen Land außer dem Vatikan diplomatisch ankerkannt. Nach den Wahlen in Taiwan am 13. Jänner dieses Jahres – bei denen William Lai (Lai Ching-te) von der für die Unabhängigkeit Taiwans eintretenden Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) zum Präsidenten gewählt wurde – hat nun auch der Pazifikstaat Nauru die diplomatischen Beziehungen zu Taiwan abgebrochen und sich China zugewandt. Taiwan ist somit der sichtbare Repräsentant eines globalen Dilemmas.
So tun als ob
Im Theater sind wir es gewohnt, so zu tun, also ob. So stellt sich Stefan Kaegi von Rimini Protokoll in „Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)“ die Fragen: Wie könnte eine Vertretung Taiwans auf der Bühne funktionieren? Welche Fahne, welche Hymne und welches Ritual passt in unsere Zeit?
Gemeinsam mit taiwanesischen Künstler*innen hat Kaegi im Rahmen einer siebenwöchigen Recherche-Residenz im Nationaltheater Taipeh Diplomatinnen, Geologen, Techniker aus der Halbleiterindustrie, Politikerinnen und Geschäftsleute befragt. In „Dies ist keine Botschaft“ stehen nun drei taiwanesische „Diplomat*innen“ auf der Bühne, die unterschiedlicher nicht sein könnten:
David Chienkuo Wu hat seinem Land 37 Jahre lang in unterschiedlichsten diplomatischen Vertretungen gedient – von Südafrika (als noch Apartheid galt) über Vietnam (als taiwanesische Unternehmer*innen das Land als Investitionsstandort entdeckten) bis Belize, wo er ausnahmsweise die Nationalfahne hissen durfte, weil das kleine Land zu dem Dutzend Kleinstaaten gehört, die Taiwan offiziell anerkennen.
Chiayo Kuo dagegen hat nie für das Auswärtige Amt Taiwans gearbeitet. Sie steht mit ihrer Taiwan Digital Diplomacy Association (mit der sie durch Bilder und Online-Posts die Menschen direkter auf informellem Weg erreichen kann) für die Softpower der NGOs, eine kreative Antwort auf die historisch gewachsene institutionelle Diplomatie.
Debby Szu-Ya Wang vermeidet es, öffentlich über Politik zu sprechen, um ihre Familie und deren Unternehmen zu schützen – sie steht mit ihrer Biografie für eine andere Form von internationalem Netzwerk. Die Musikerin hat ihr halbes Leben in westlichen Ländern verbracht, während das Unternehmen ihrer Eltern mit dem Export von Bubble-Tea-Zutaten einen Weltmarkt erschlossen hat.
Gemeinsam simulieren die drei Expert*innen mit vielen Bildern und Musik auf der Bühne die Eröffnung einer in der realen Welt unmöglichen Botschaft – geschützt durch die Freiheit der Kunst. So entsteht die mobile Stichprobe eines Landes, ein transformierbares Architekturmodell, das die drei Expert*innen als Miniaturfilmkulisse für ihre eigene und die Biografie ihres Landes nutzen. Das Publikum wird dabei zum Gast und Mitwirkenden in einer heiklen politischen Mission, in deren Zentrum nicht zuletzt dass Verhältnis von Österreich und China steht.
DIES IST KEINE BOTSCHAFT
Made in Taiwan
Uraufführung
von Rimini Protokoll
Konzept und Regie Stefan Kaegi
mit Chiayo Kuo, Debby Szu-Ya Wang, David Wu
in englischer, deutscher und chinesischer Sprache mit englischen und deutschen Übertiteln
Wien-Premiere: 2. und 3. März 2024, jeweils 19:30 Uhr im Volkstheater
Weitere Stationen sind Basel, Lausanne und Taipeh.