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Theater Ulm: BENEFIZ – JEDER RETTET EINEN AFRIKANER von Ingrid Lausund

Premiere am 23. November 2019 um 19.30 Uhr im Podium

Schlägt man das Wort »Benefiz« im Duden nach, liest man für die Wortbedeutung b), »Wohltätigkeitsveranstaltung, -vorstellung«, als einziges Beispiel »ein Benefiz für Afrika«. Vermutlich verknüpfen die meisten Menschen in Mitteleuropa in ihren Köpfen Aufrufe oder Einladungen zu solchen Abenden mit dem großen Kontinent im Süden und dessen Armut. Aber ist es umgekehrt anders? Denken wir – zumindest unbewusst – bei der Nennung Afrikas nicht sofort an Spenden, Hilfe und Wohltätigkeit? Woher kommt diese beinahe unlösbar erscheinende Verknüpfung? Und wie können wir solche klischeebehafteten Assoziationen vermeiden?

 

 

Ingrid Lausund, unter ihrem Pseudonym Mizzi Meyer als Autorin der Serie »Der Tatortreiniger« und der Romanadaption »Er ist wieder da« bekannt, stellt genau diese Fragen in ihrem 2009 uraufgeführten Theatertext nicht: »Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner« zeigt fünf Menschen, die in bester Absicht versuchen, eben eine solche Wohltätigkeitsveranstaltung für eine Schule in Guinea-Bissau zu proben, und dabei immer wieder an inhaltlichen, formalen und organisatorischen Fragen scheitern. Da wird beispielsweise diskutiert, ob dieser Staat in Ost- oder Westafrika liegt, ob man wirklich eine Schwarze für diesen Abend benötigt oder wer dabei welche und wie umfangreiche Redeanteile erhält. Andere Streitigkeiten entzünden sich an der Frage, ob es wirklich notwendig ist, Fotos von toten Kindern zu zeigen, wann ein Lichtwechsel richtig platziert ist und wie sinnvoll in diesem Zusammenhang eine selbstgebastelte Palme erscheint. So wird der eigentliche Anlass für den Benefiz-Abend immer weiter in den Hintergrund gedrängt und lässt sich lediglich in der Entscheidungsfrage, ob man zehn Euro sinnvoller in einen Cocktail oder in eine Spende für Afrika investiert, erahnen.

Lausunds Text ist allerdings kein mahnender Zeigefinger, der die armen, von first-world-problems geplagten Europäer auch noch mit ihrer Kolonial-Geschichte nervt, sondern zeigt mit schwarzem Humor und einem sehr genauen Gespür für Situationen eine saftige und vor Spannungen nur so triefende Komödie, in der sich so manche und mancher im Publikum wiedererkennen wird.

Regisseurin Mona Kraushaar und Ausstatterin Wicke Naujoks stellen diese intelligenten Beobachtungen eines rettungslosen Verlorenseins aus ursprünglich edlen Gründen in ein Showstudio, das ebenso gut auch für die Aufzeichnung einer Schlagerparade oder eines Familienquiz‘ herhalten könnte. Marie Luisa Kerkhoff, Nicola Schubert, Benedikt Paulun, Frank Röder und Maurizio Micksch sorgen in diesem verschoben-stimmungsvollen Ambiente für gehöriges Fremdschampotential und überbieten sich immer wieder aufs Neue in unangebrachten Formulierungen, Tritten in diverse Fettnäpfchen und gegenseitigem Über-den-Mund-Fahren.

Bei allem Sarkasmus und jeglicher ironischer Überhöhung bietet sich dennoch die Möglichkeit für das Publikum, am Ende des Theaterabends das eigene schlechte Gewissen zumindest ein wenig zu beruhigen: In Zusammenarbeit mit der Deutsch-Guineischen Gesellschaft e.V. und deren Projekt »Eine Schule für Bissau« werden nach jeder Vorstellung von »Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner« in der Podium.bar Spendenboxen, Informationsmaterial und Überweisungsträger bereitgestellt, um Gelder für die im Text erwähnte und tatsächlich durch Aufführungen dieses Stücks unterstützte Schule in Westafrika zu sammeln.

Inszenierung Mona Kraushaar
Ausstattung Wicke Naujoks
Dramaturgie Stefan Herfurth
Regieassistenz Moritz Vinke

Mit
Nicola Schubert (Eva) Marie Luisa Kerkhoff (Christine) Benedikt Paulun (Leo) Maurizio Micksch (Rainer) Frank Röder (Eckhard)

27/11/19 MI Podium
19.30
12/12/19 DO Podium
19.30  
20/12/19 FR Podium
19.30
31/12/19 DI Podium
17.00
31/12/19 DI Podium
20.30
18/01/20 SA Podium
19.30
29/01/20 MI Podium
19.30
12/02/20 MI Podium
19.30 P Mi

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