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THEATER CHUR: Achim Lenz, "Öderland" - nach Max Frischs "Graf Öderland"

Premiere DO 25. Februar 2010, 20 Uhr

 

Der junge, in Chur aufgewachsene Regisseur Achim Lenz bringt in einer Koproduktion mit dem Theater Chur und dem Ringlokschuppen Mülheim an der Ruhr Max Frischs «Öderland» zur Aufführung.

 

Im Stück greift ein Staatsanwalt, erfolgreich, verheiratet, angesehenes Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, zur Axt und träumt den tödlichen Traum von der absoluten Freiheit. Er macht sich auf die Suche nach dem «wirklichen» Leben. Jeden, der sich ihm in den Weg stellt, tötet er. Ohne dass er dies beabsichtig hat, macht sein Beispiel Schule. Mehr und mehr Menschen greifen zur Axt und schliessen sich ihm an. Und auf einmal sieht er sich wieder an der Spitze einer Freiheitsbewegung, er hat Verantwortung und Macht, er verhandelt, der Staatspräsident will ihn sprechen… Ist das nun das «wirkliche» Leben?

 

Die Unmittelbarkeit und Unvermitteltheit, mit der auf der Bühne ein unbescholtener Bürger plötzlich und scheinbar unerklärlich zum Amokläufer wird, ist heute von beängstigender Aktualität. Zur Zeit seiner Entstehung war das Stück äusserst umstritten. Bei der Uraufführung von «Graf Öderland» 1951 am Schauspielhaus Zürich, brach in der Presse ein Sturm der Entrüstung los: «Das ist doch reinster Nihilismus», wetterte eine Zürcher Zeitung, während andere einen «Angriff auf die bürgerliche Gesellschaft» witterten.

Als hätte er um die dem Stoff innewohnende zunehmende Brisanz immer gewusst, kam Max Frisch trotz, wie er es nannte, «respektabler Misserfolge» auf den Bühnen, von «Öderland» nicht ab. Dreimal hat er das Stück umgeschrieben, nach der Uraufführung wurde es in Zürich 1956 in überarbeiteter Form noch einmal gezeigt, eine weitere Version verfasst er 1961 in Rom. 1968 wurde es vom deutschen Fernsehen mit grosser Besetzung verfilmt. Der Erfolg hielt sich in Grenzen. Es war zu früh.

 

Liest man das Stück heute, mehr als fünfzig Jahre später, ist man verblüfft und überrascht, ob der Hellsichtigkeit, mit der Frisch das Phänomen der Gewalt schildert. Der 31-jährige Regisseur Achim Lenz hat sich bereits in seinem Projekt «T-A-N-N-Ö-D» (nach dem Kriminalroman von Andrea Maria Schenkel), das 2008 mit den Max Reinhard-Preis ausgezeichnet wurde, mit einem «unerklärlichen» sechsfachen Mord beschäftigt.

 

Im Zuge seiner reduzierten, verdichtenden Inszenierung von «Öderland», in der nichts den Blick vom Thema ablenken soll, hat Lenz Frischs Figurenarsenal von über zwanzig Personen auf fünf Hauptfiguren zusammengestrichen. Zum Teil in Mehrfachbesetzungen wird das fünfköpfige Ensemble die Geschichte des Amok laufenden Staatsanwaltes erzählen. Die fünf Akteure sind Bürger und Vertreter von Recht und Ordnung, Täter und Opfer. Die Individualität des Einzelnen tritt zurück, zugunsten eines Ensembles, in dem jeder zu allem fähig ist. Auf diese Weise wird Frischs ungeheuerliches Setting vom Staatsanwalt mit der Axt in der Ledermappe wie in einem Experiment auf kleinstem Raum umgesetzt und auf erschreckende Weise konkret: Jeder könnte zur Axt greifen.

 

Achim Lenz

Seit seiner frühesten Jugend beschäftigt sich Achim Lenz mit Theater und Bühnenkunst. Lenz wurde 1978 in Chur geboren, besuchte die Mittelschule in Schiers und studierte anschliessend in Basel Klassische Philologie. Bereits als Gymnasiast komponierte er eine Oper, die in Graubünden aufgeführt

wurde, schrieb eigene Stücke, trat als Schauspieler in verschiedenen Produktionen einer Schülertheatergruppe auf und begann mit ersten Regiearbeiten. 1998 war am Stadttheater Chur eine Inszenierung von Kleists «Penthesilea» des damals Zwanzigjährigen zu sehen. 2003 schloss er sein Studium in Basel ab; im gleichen Jahr zeichnete ihn der Kanton Graubünden für seine Arbeit als Regisseur, Schauspieler und Autor mit einem Kulturförderpreis aus. 2005 erhielt er einen Preis des Eliette von Karajan-Kulturfonds. Gefördert mit einem Künstlerstipendium des DAAD (Deutscher Akademischer Austausch Dienst) begann er 2005 an der renommierten Folkwang Hochschule in Essen das Studium der Schauspielregie.

 

Die während seiner Ausbildung erarbeiteten Inszenierungen fanden grosse Beachtung in der Fachwelt: Das Projekt «T-A-N-N-Ö-D» gewann den Max-Reinhard-Preis 2008; die Abschlussinszenierung «Alkestis» von Euripides wurde 2008 zum Körber-Studio für junge Regie am Thalia-Theater in Hamburg eingeladen. Achim Lenz lebt heute als freier Regisseur in Essen (Deutschland) und Mastrils und ist Mitglied der Leitung der Domfestspiele in Bad Gandersheim (Niedersachsen), wo er 2009 «Don Juan» von Molière inszenierte.

 

Textfassung, Regie: & Produktionsleitung: Achim Lenz.

 

Mit: Daniel Flieger, Julia Glasewald, Roman Roth, Hanna Schwab, Felix Strüven. Ausstattung: Verena Mohrig. Regieassistenz: Nina Christine Brand.

 

Koproduktion: Ringlokschuppen Mülheim an der Ruhr und Theater Chur.

 

 

 

 

 

 

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