In der Mitte des letzten Jahrhunderts, als die Erinnerung an den Weltkrieg noch traumatisch war und der Aufbruch in die Nachkriegszeit zögernd, da wurde in Deutschland die Kultur der amerikanischen Befreier geradezu gierig aufgenommen. Amerikanische Dramatiker eroberten im Sturm und mit Riesenerfolg die deutschen Bühnen. Der erfolgreichste war Tennessee Williams, denn er traf besonders genial die Seelenlage der verstörten Nachkriegsgeneration.
Seine hochdramatischen, spannenden Stücke zeigen die emotionale Not des Individuums, dessen Weltgefühl von sozialer und politischer Unsicherheit bestimmt wird. Seine Menschen sind Fremde und Verstoßene des Daseins, ihnen fehlt die innere Ausgeglichenheit, um sich den harten Daseinsbedingungen anzupassen. Immer sind sie auf der Suche nach Gemeinschaft, immer auch auf der Flucht in scheinbar tröstende Lebenslügen. Subtil und geschickt leuchtet Williams in die seelischen Abgründe, die er mitfühlend, doch nicht ohne schmerzliche Ironie bloßlegt. Er wurde zum Dichter der Verlorenen, zum Wortführer moderner Menschenschicksale in einer zerrissenen Welt.
Thomas Lainer Williams wurde am 26. März 1914 in Columbus, Mississippi, als Sohn eines Handelsvertreters geboren. 1939 wählte er das Pseudonym Tennessee aus Verbundenheit zu seiner Heimat in den Südstaaten. Williams studierte Publizistik an der Universität von Missouri in Columbia und
Theaterwissenschaft an der Washington-Universität in St. Louis. Nach dem Erlebnis einer Aufführung von Ibsens GESPENSTER soll er sich entschlossen haben, Theaterstücke zu schreiben.
1936 gewann er den ersten Dramenwettbewerb, 1939 öffnete ihm sein Einakter „American Blues“ die Tür zu den Kursen für junge Dramatiker, die der emigrierte deutsche Regisseur Erwin Piscator in New York abhielt.
Doch erst 1944 besiegelte sein Stück DIE GLASMENAGERIE seinen Durchbruch als Dramatiker. Für ENDSTATION SEHNSUCHT (1947) und DIE KATZE AUF DEM HEIßEN BLECHDACH (1955) erhielt Williams den renommierten Pulitzerpreis. Weitere Stücke: DIE TÄTOWIERTE ROSE (1950), CAMINO REAL (1953), SÜSSER VOGEL JUGEND (1959).
Seine Stücke und dann vor allem deren erfolgreiche Verfilmungen in Hollywood brachten Tennessee Williams in den 50er Jahren weltweiten Ruhm, der jedoch in den 60er und 70er Jahren verblasste. Seine Problemstellungen wirkten plötzlich veraltet. Die Demokratien hatten sich wieder gefestigt. Und Amerika verlor durch seine Vietnampolitik an Ansehen.
1975, als sein dramatisches Werk kaum mehr Beachtung fand, veröffentlichte Williams seine MEMOIREN. Er offenbart sich darin als getriebener, exzessiver Künstler, der seine Einsamkeit durch zahlreiche Affären und durch Drogen zu bekämpfen versucht. Seine Homosexualität erlebte er im prüden Nachkriegs-Amerika als gesellschaftliches Stigma. Williams starb 1983 allein in einem New Yorker Hotel, er war am Plastikverschluss einer Medikamentenpackung erstickt.
Seine Stücke haben eine zeitlose Kraft, sie zeigen in der zeitbezogenen Gestalt menschliche Grundprobleme und werden in die dramatische Weltliteratur eingehen. Gerade jetzt, am Beginn des zweiten Jahrtausends, erleben sie beim Publikum eine bemerkenswerte Auferstehung. In der Kälte und den Zwängen globalisierter Weltzusammenhänge sind diese Balladen von Einsamkeit und Haltlosigkeit wieder aktuell. Ganz abgesehen von der perfekten dramatischen Form und den wunderbaren Rollen für die Schauspieler. „Endstation Sehnsucht“ und all die anderen Williams-Stücke sind in deutschen Theatern wieder auf Erfolgskurs.