CORE stellt 50 Menschen aus dem Rhein-Main-Gebiet in den Mittelpunkt, die singend, tanzend und rezitierend die Essenz unseres Zusammenseins hinterfragen. „Die Essenz des zeitgenössischen Tanzes ist eine sehr demokratische. Mit Core begeben wir uns auf die Suche nach dieser Essenz“, so Rui Horta bei der Pressekonferenz zum Tanzfestival. „Wir leben zusammen, aber jeder ist unterschiedlich, hat einen anderen Kern. Mit dem Stück suchen wir nach dem Kern, der uns verbindet.“
Unter dem Festivalmotto Mind The Gap laden die Festivalkünstler*innen ein, ignorierte Aspekte unseres Lebens in den Blick zu nehmen. Ausgehend von ihren eigenen Biografien oder gemeinsam mit sehr unterschiedlichen Menschen auf der Bühne sind es Momente der Irritation, des Stolperns und Springens, die die Festivalchoreograf*innen interessieren. Insgesamt stehen 19 Uraufführungen und Gastspiele internationaler und in der Region lebender renommierter Choreograf*innen auf dem Festivalprogramm in Frankfurt, Darmstadt, Offenbach und Wiesbaden, begleitet von einem vielfältigen Rahmenprogramm mit Workshops, Partys und Gesprächen.
Zu Gast im Festival ist auch die Pionierin des chinesischen Tanztheaters und Goethemedaillen-Trägerin Wen Hui, deren neue Produktion New Report on Giving Birth am 3., 4. und 5. November im Mousonturm Uraufführung feiert. Darin begegnen sich vier internationale Tänzerinnen als Mütter, Nicht-Mütter und Frauen mit Migrationsgeschichte aus China, Thailand, Iran, Italien und Deutschland. In kraftvollen, spielerischen, poetischen sowie intimen Choreografien erforschen sie, wie sich strukturelle Gewalt und Kontrolle in Körper einschreiben.
Die Belfaster Choreografin Oona Doherty, die zu den eigenwilligsten Tanzkünstler*innen Europas zählt und 2021 mit dem Silbernen Löwen der Tanzbiennale Venedig ausgezeichnet wurde, ist als Spotlight-Künstlerin mit drei Stücken im Tanzfestival Rhein-Main vertreten:
Hard to be Soft – A Belfast Prayer (5. &.6.11., Hessisches Staatstheater Wiesbaden) ist eine choreografisch dichte Beschreibung des nordirischen Alltags, ein Porträt der Arbeiter*innenklasse, ihrer Härte und ihrer Verletzlichkeit.
Hope Hunt and The Ascension into Lazarus (7. & 8.11., Alte Schlosserei, Offenbach) erzählt von der Suche nach Hoffnung, die Grenzen von Geschlecht und Klasse überwindet.
Navy Blue (12.11., Staatstheater Darmstadt) entfaltet mit Sergei Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 2 eine bewegende Choreografie und sehr persönliche Reflexion über Tanz und existenzielle Ängste der Gegenwart. Weitere Musik ist in Zusammenarbeit mit dem britischen Mercury Prize Gewinner Jamie xx entstanden.
Der südafrikanische Choreograf Gregory Maqoma folgt zusammen mit dem Komponisten und Theatermacher Thuthuka Sibisi in Broken Chord, am 11.11. und So. 12.11. im Großen Haus Staatstheater Darmstadt, den Spuren des vergessenen African Choir, ein Chor, der im 19. Jahrhundert das europäische Publikum begeisterte und die Vorstellung von afrikanischer Musik prägte. Das Stück ist zugleich eine bewegende Auseinandersetzung mit den kolonialen Verstrickungen, die bis in die Gegenwart hineinwirken.
Der in Neapel geborene Choreograf Alessandro Schiattarella erzählt in Zer-brech-lich am 13. und 14.11. in der Großen Halle des Frankfurt LAB von der Verschiedenheit der Körper und lässt die drei Performer*innen Victoria Antonova, Alice Giuliani und Laila White auf der Suche nach dem Pop-
Moment ein glamouröses Tanz-Konzert feiern. Und macht dabei den Umgang mit der eigenen Zer-brechlichkeit zur politischen Vision der Achtsamkeit. Für alle (!) ab 12 Jahren mit Audiodeskription
& Tastführung für blinde und sehbehinderte Zuschauer*innen.
Verena Billinger & Sebastian Schulz bringen in Geteilter Abend ihre so lust- wie kraftvolle Choreografie über Öffentlichkeit und Privatheit, Kontrollverlust und Selbstermächtigung im Mousonturm vom 16.-18.11. zur Uraufführung. Verena Billinger, die seit langem selbst wieder auf
der Bühne steht, teilt ihren persönlichen Blick auf ihr Leben und lädt das Publikum ein, ihre Beziehung zu Tanz und Choreografie mitzuerleben.
Eine Aura des Vergänglichen schimmert durch das von Ohad Naharin mit dem Hessischen Staats-ballett geschaffene Last Work, das am 18.11. als Wiesbadener Premiere im Hessischen Staatsthe-ater Wiesbaden, Großes Haus gezeigt wird. Ein energetisch-dichtes Tanzstück des Leiters der Bats-heva Dance Company, das auch durch eine gedämpfte Ruhe und meditative Grundspannung wird, die neben dem dynamischen Tanz von den elektronischen Sounds des deutschen DJs Grischa Lichten-berger getragen wird.
In À la carte, dem ersten Stück von Ioannis Mandafounis, dem neuen künstlerischen Leiter der Dres-den Frankfurt Dance Company, das im Bockenheimer Depot vom 15.-18.11. im Rahmen des Tanz-festivals zur Uraufführung kommt, kann das Publikum mit Hilfe einer „Speisekarte“ – oder vielmehr „Tanzkarte“ mit einer Szenenauswahl Teil des kreativen Prozesses werden und den Verlauf der Auffüh-rung beeinflussen. Mit kreativem Feuer nimmt das Tanz-Ensemble die vom Publikum gewählten dra-maturgischen und rhythmischen Linien auf und bringt sie jeden Abend neu in Bewegung.
Die afro-amerikanischen Meister*innen des Jazz-Tap lebten Stepptanz als solidarische Gemeinschaft und nahmen Sebastian Weber in den 1990er Jahren als jungen weißen Europäer auf. In seinem Solo
The Long Run schafft Weber nun ein intimes Stück über kulturelle Aneignung und Identität, über die Verantwortung weißer Künstler*innen und über Rassismus, das am 4.11. und 5.11. im Staatstheater Darmstadt – Kammerspiele zu sehen ist.
In seinem Solostück Home offenbart und verbirgt Sebastian Abarbanell den Körper und zeigt des-sen komplexe Dualität – als Kommunikationsorgan mit dem Außen und zuhause für das eigene Ich – und inspiriert zu neuem Nachdenken über queere Identitäten, zu erleben am 8.11. im Hessischen Staatstheater Wiesbaden, Kleines Haus.
„Versteife deine Gelenke und perfektioniere Deine Luftgitarre“ – ganz ohne neokoloniale Aneignungen speist sich Colonastics, das einzigartige Fitness-Work-out von Joana Tischkau/ Elisabeth Hampe aus der Körperlichkeit weißer Kulturpraktiken. Für alle, die „die rationale Schärfe weißer Männlichkeit“ mit der Körperlichkeit „Schwarzer Femmes“ zu verbinden suchen, sind die Colonastics-Kurse vom
10.-12.11. im Mousonturm genau das Richtige. Gewählt werden kann unter anderem: „Whiteness is a State of Mind – Eine Traumreise nach Happyland“ oder „Total Body Schranzformation“. Detailliertes Programm: tanzfestivalrheinmain.de
Luna Cenere schafft mit Vanishing Place eine faszinierende Choreografie über das Verschwinden, um den Körper sprechen zu lassen. Sie führt zur Essenz von Tanz, zum Verhältnis von Körper, Raum und Bewegung und ist am 11.11., im Staatstheater Darmstadt – Kammerspiele zu sehen.
Sieben Tänzer*innen bewegen sich in Correction von VerTeDance, Jiří Havelka & Clarinet Factory, das am 14.11. und 15.11. im Hessischen Staatstheater Wiesbaden, Kleines Haus zu erleben ist, in einem scheinbaren Widerspruch: Obwohl sie nie ihren Platz verlassen, gleiten sie dennoch frei im Raum. Jeder Befreiungsversuch ist zwecklos. Ihre Körper schwingen sanft von links nach rechts, von rechts nach links, synchron wie ein menschliches Pendel. Für Menschen ab 10 Jahren.
Lovísa Ósk Gunnarsdóttir nimmt das Publikum in ihrem Stück When the Bleeding Stops mit in eine Welt der Verletzlichkeit, der Scham, der Empathie und des Humors. Das Stück begibt sich auf Tuch-fühlung mit einer spezifischen weiblichen Erfahrung und lädt am 14.11. und 15.11. im Hessischen Staatstheater Wiesbaden, Wartburg dazu ein, mit den Frauen zu lachen, zu weinen und zu feiern und verleiht so Frauen in der Menopause eine Stimme.
Stimmen ohne Körper, Lächeln ohne Münder, Tränen ohne Augen: Durch die Magie des Bauchredens schaffen in Joachim Maudets Welcome, drei Stimmen wundersame poetische Räume und durch die Kluft zwischen dem Gesagten und dem Erlebten vielfältige Erzählungen. Ein absurder Abend, der das Publikum am 15.11. im Hessischen Staatstheater Wiesbaden, Kleines Haus zum Wundern und Schmunzeln einlädt.
Alle Infos www.tanzfestivalrheinmain.de