Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
Städtische Bühnen Münster: "Minetti"Städtische Bühnen Münster: "Minetti"Städtische Bühnen...

Städtische Bühnen Münster: "Minetti"

Ein Portrait des Künstlers als alter Mann von Thomas Bernhard,

Premiere: Mittwoch, 23. Mai 2007, Kleines Haus.

 

Der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard (1931–1989) gehört zu den wortgewaltigsten, bissigsten und radikalsten Poeten des 20. Jahrhunderts. In seiner Prosa und in seinen Theaterstücken treten zumeist leidenschaftliche, verbitterte und unverstandene Einzelgänger auf, die von Versager-Ängsten gebeutelt und von einer kunstfeindlichen, infamen Welt verspottet werden.

 

Um „Kunstkatastrophen“ und Künstlerexistenzen am Rande des Wahnsinns geht es auch in „Minetti“. Der Titel des Stückes verweist auf die Widmung an den unvergessenen großen Schauspieler Bernhard Minetti, der 1998 im Alter von 93 Jahren verstarb und bis an sein Lebens-ende Theater spielte. Bei der Uraufführung 1976 am Staatstheater Stuttgart (Regie: Claus Peymann) stand Bernhard Minetti auch selbst auf der Bühne. Dennoch führt Thomas Bernhard kein reales Schauspielerporträt sondern das Lebensende eines vergessenen, greisen und engagementlosen Mimen vor, der am Sylvesterabend in einer Hotelhalle im belgischen Seebad Oostende eintrifft.

 

Oostende ist die Heimatstadt des belgischen Malers James Ensor, von dem der alte Schauspieler eine Lear-Maske besitzt. Dreißig Jahre ist der alte Schauspieler nicht mehr auf der Bühne gestanden. Vor langer Zeit haben ihn Senatoren aus Lübeck vertrieben, weil er sich der klassischen Literatur verweigert und sich mit einem unterhaltungssüchtigen Publikum angelegt hat. Unterschlupf hat er in der Dachkammer seiner Schwester in Dinkelsbühl gefunden. Lediglich an jedem Dreizehnten des Monats spielt er Shakespeares „König Lear“ in der ungeheuerlichen Maske des Expres-sionisten Ensor vor dem Spiegel. Mit seinem letzten Geld ist er nun in Ensors Heimat gefahren, um einen Theaterdirektor aus Flensburg zu treffen. Doch der Theaterdi-rektor kommt nicht. Verbissen und stoisch wartet der alte Mann und rechnet in einem gigantischen Monolog mit der hinterhältigen Gesellschaft ab. Eine betrunkene Dame und ein junges Mädchen sind die Zuhörer seiner Lebens- und Kunstmaximen. Obwohl sogar eine Liebesgeschichte zwischen dem alten Schauspieler und dem jungen Mädchen angedeutet wird, unterstreichen die Hotelgäste am Sylvesterabend letztlich nur die völlige Isolation des alternden Künstlers. Am Schluss stirbt der Schauspieler auf einer Parkbank, gänzlich zur Maske erstarrt, im Schneegestöber.

 

Die Lear-Maske vor dem Gesicht verweist auf die grotesk-verfremdete Bilderwelt von James Ensor genauso wie auf die entlarvenden Motive der Maskierung, Demaskie-rung, Rollenspiel und Rollenfixierung auf dem Theater. Eine monomanische Hasslie-be zum Theater ist eine Grundhaltung im Gesamtwerk des Schriftstellers Thomas Bernhard. Bernhard Minetti blieb für ihn eine Ausnahmeerscheinung unter den Schauspielern, die ansonsten als Zerstörer und Vernichter der Phantasie den Schrift-steller an das Publikum verraten.

 

Thomas Bernhard, dessen Weltruhm in den sechziger Jahren als Erzähler begann, schrieb seit den siebziger Jahren fast im Jahresrhythmus zahlreiche Theaterstücke (u. a. „Ein Fest für Boris“, „Der Ignorant und der Wahnsinnige“, „Die Macht der Ge-wohnheit“, „Am Ziel“, „Vor dem Ruhestand“, „Der Theatermacher“, „Heldenplatz“). Bernhard starb am 12. Februar 1989 im Alter von nur 58 Jahren.

 

Bei der Münsteraner Erstaufführung spielt Michael Holm die Titelpartie, der sich nach jahrzehntelangem Engagement an den Städtischen Bühnen mit dieser Rolle in den Ruhestand verabschiedet.

 

Regie: Wolf Dieter Kabler

Bühnenbild: Anika Söhnholz

Kostüme: Jessica Rohm

Dramaturgie: Matthias Heilmann

 

Mitwirkende:

Michael Holm (Minetti, ein Schauspielkünstler), Cornelia Niemann (Eine Dame), Tina Amon Amonsen (Ein Mädchen), Christoph Tiemann (Portier)

 

Weitere Vorstellungen im Mai:

Freitag, 25. Mai, 19.30 Uhr

Donnerstag, 31. Mai, 19.30 Uhr

 

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 17 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

DAS MARMORSTANDBILD LEHRT DAS GRUSELN -- "Don Giovanni" von Mozart im Theater HEILBRONN

"Don Giovanni glaubt vielleicht sogar an Gott, er will nur nichts von ihm hören, da dies sein Genussleben stören würde", meinte Bertolt Brecht. Don Giovanni kennt auch in der subtilen Inszenierung von…

Von: ALEXANDER WALTHER

HYSTERIE AM SPIELTISCH -- "Der Spieler" nach Dostojewskij von Sergej Prokofjew in der Staatsoper STUTTGART

In der suggestiven Inszenierung von Axel Ranisch wird die Geschichte ganz aus der Sicht Polinas als Stieftochter des Generals erzählt. Sie will ihren widrigen Lebensumständen unbedingt entfliehen.…

Von: ALEXANDER WALTHER

TRÄUMERISCHE VISIONEN -- Neue CDs beim Label naïve: Brahms' Klavierkonzerte mit Herbert Schuch und den Bochumer Symphonikern

Für den rumänischen Pianisten Herbert Schuch gibt es keine Alternative zu den beiden Klavierkonzerten von Johannes Brahms. Keine anderen Konzerte würden die große Geste, virtuos dramatische…

Von: ALEXANDER WALTHER

DRAMA UNTER DEM STERNENHIMMEL -- Puccinis "La Boheme" mit der Opernschule der Stuttgarter Musikhochschule im Wilhelma-Theater STUTTGART

In der Regie von Franziska Severin rückt die bewegende Geschichte der bitterarmen Frau Mimi deutlich in den Mittelpunkt. Sie ist wie Musetta auf der Suche nach dem Glück. Und die vier jungen Männer um…

Von: ALEXANDER WALTHER

Unbehaust - „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert im Schauspielhaus Düsseldorf

Beckmann ist einer von vielen, die aus Krieg und Gefangenschaft zurückkehrten in eine Welt, die nichts mehr mit dem ehemaligen Zuhause zu tun hat, wenn es dieses Zuhause faktisch überhaupt noch gab.…

Von: Dagmar Kurtz

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑