
Interessant ist allerdings, dass die Darsteller alle Frauen sind. Sonia Lautenbacher, Kristina Olearnikova, Lilly Bendl und Ingrid Pittl lassen ein äusserst intensives Körpergefühl aufleben: "Eins weiß ich sicher: Singen ist wie Fliegen. Ich bin wirklich ein Vogel, und es ist kein Traum". Ergreifend wird dabei geschildert, wie ihn aus dieser totalen Isolation erst sein ebenfalls kriegsversehrter Freund Al befreit. Gemeinsam erzählen sie sich geradezu fieberhaft ihre Jugenderlebnisse. Die größte Wirkung wird aber mit der Musik erzielt. So erklingen immer wieder die minimalistischen "Shaker Loops" von John Adams in Verbindung mit "Bird Cage" von John Cage und den Glissando-Klängen von George Gershwins "Rhapsody in Blue". Das Auf- und Zerbrechen akustischer Hörgewohnheiten korrespondiert mit intensiver tänzerischer Ausdrucksvielfalt. Aktionskunst lebt von intensiven Impulsen.
Die triste Atmosphäre des Psychiatriezimmers mit Bett und schwarzen Holzklötzen gewinnt so plötzlich ungeahntes Leben. Der Vogeltick scheint zur Routine zu werden. Die Frauen unternehmen verzweifelte Flugversuche, um sich zu befreien. Es sind musikalische Tremolo-Exzesse. Diese subtilen Szenen gelingen am besten. Untermalt werden sie höchst eindrucksvoll von den düsteren Klängen des "Requiems" von György Ligeti. Klangfarben, Räume, Flächen und Massen durchbrechen immer wieder das serielle Gerüst, was die Tänzerinnen in ausgezeichneter Weise nachzeichnen.
Birdie ist verschlossen in seiner Phantasiewelt als "Vogelmensch". Nichts dringt nach außen. Es ist ein alter Traum, ein Vogel sein zu wollen. Hinzu kommt hier das in suggestiver Weise nachgezeichnete Kriegstrauma: "Es ist beschissen, ich versuche nicht mehr, das Leben auf die Matte zu hauen..." Und Al schlüpft nicht in die Rolle des verständnisvollen Therapeuten: "Sie haben uns das Beste genommen. Wir beide sind völlig kaputt. Dabei hatten wir nie eine Chance, unser eigenes Leben zu führen..." Al öffnet die Bandage, die sein von einer Granate entstelltes Gesicht schützt, wickelt sie um beide Köpfe. Durch die weibliche Darstellung steigert sich auch die dramaturgische Spannung.
Die tänzerische Performance unterscheidet sich deutlich von Alan Parkers Antikriegsfilm. Die Freundschaft und Verletzlichkeit dieser Figuren wird von den Tänzerinnen immer wieder überzeugend verkörpert. Sie entblößen sich schonungslos - einmal sogar bis zur völligen Nacktheit. Katja Erdmann-Rajski hat sich zudem von William Whartons Roman von 1978 inspirieren lassen. Manchmal denkt man auch an den Film "Einer flog über das Kuckucksnest" mit Jack Nicholson. Wut und Hoffnungslosigkeit stehen oft im Zentrum des Geschehens.
Hinzu kommen die intensiven musikalischen Parallelwelten, die die größte Stärke dieser choreographischen Arbeit sind. Extreme Kontraste und Doppelbödigkeit werden insbesondere bei Ligetis Musik konsequent umgesetzt. Hinzu kommen die rhythmischen Phänomene, die zu den triumphalen Schlusstakten von George Gershwins "Rhapsody in Blue" positiv enden. Elegante Mondänität und das Zwielichtige der Ursprünge scheinen im Nebel zu verschwinden. Stürmischer Schlussapplaus, auch "Bravo"-Rufe.


















