Das zwanzigste Jahrhundert ist reich wie keines zuvor an großer weiblicher Dichtkunst in deutscher Sprache. Die Werke von Marie Luise Kaschnitz und Ingeborg Bachmann gehören dazu. Kaschnitz wurde 1901 in Süddeutschland geboren. Ihr frühes Schreiben war von der finsteren Weltkriegsepoche geprägt. In der Zeit danach blieb ihre Stimme präsent und gewichtig. Die hochbegabte Österreicherin Ingeborg Bachmann war 25 Jahre jünger, so konnte sie ihr Erwachsenenleben frei von den schlimmsten Katastrophen beginnen. Doch in den Wirren der Nachkriegszeit musste sie mit besonderen Schwierigkeiten nach Verortung und Entfaltung suchen, für sich und für ihre Kunst.
Gestorben sind die beiden kurz nacheinander in Rom, Anfang der Siebzigerjahre. Das Sprichwort „Alle Wege führen nach Rom“ - für diese Frauen trifft es auf ihrer letzten Lebensstrecke zu. Sie begegneten sich öfter im wunderschönen Caffè Greco, das seit dem 18. Jahrhundert als Künstlercafé berühmt ist. Eine herzliche Freundschaft entwickelte sich daraus – mit intensivsten Gesprächen über alles, was für sie beide lebensnotwendig war.
Diesen temperamentvollen Austausch, von dem es interessante schriftliche Spuren gibt, entdeckten die Schauspielerinnen Petra Kuhles und Christiane Lemm als faszinierende Quelle für einen Theaterabend. Zusammen mit der Autorin Mirjam Wiesemann, die in diesem Fall dramaturgische Mitgestalterin war, erstellten sie aus Briefen und Dichtungen von Kaschnitz und Bachmann ein Denk-, Fühl- und Redestück der besonderen Art. Es bringt die Freundinnen selten in einen direkten Dialog. Vielmehr schwebt es mit persönlichen Bekenntnissen und dichterischen Assoziationen auf einer höheren – oder tiefsinnigeren - Ebene menschlicher Wechselbeziehung. Deshalb mündet ein aufgeworfenes Thema im Hin und Her der eigenwilligen Gedankengänge meistens wie von selbst in einen schlüssigen Zusammenklang.
Die Uraufführung fand nun am 20. November 2016 im Theatermuseum Düsseldorf auf dessen Studiobühne statt. Die Bühnenbildnerin Claudia Ehrentraut stellte in die hintere Mitte einen Kaffeehaustisch mit zwei Stühlen, als Anspielung an das besagte Caffè Greco, wohin es die beiden oft einsamen Frauen wohl immer wieder zog, wenn sie sich aus ihren Schriftstellerklausen losrissen. Diese befinden sich weit auseinander an den Seiten der Bühne. Links der spartanisch gehaltene Schreibtisch von Ingeborg Bachmann, an dem sie lebte und kämpfte und litt, rechts die gemütlichere Arbeits-Wohnzelle von Marie Luise Kaschnitz.
Die schauspielerische Gestaltung dieser anspruchsvollen dichterischen Collage ist eine Gratwanderung zwischen Spiel und Rezitation. Christiane Lemm und Petra Kuhles, in bescheiden-schwarzer Arbeitskleidung, spüren vorsichtig und einfühlsam den zwei verwandten und doch grundverschiedenen Persönlichkeiten nach. Marie Luise Kaschnitz (Petra Kuhles) erscheint sensibel, klug und vielschichtig, auch geerdet in bürgerlichen Lebensformen. Sie blickt auf eine insgesamt glückliche, symbiotische Ehe zurück, die sie nach dem relativ frühen Tod ihres Mannes unendlich schmerzvoll vermisst. Ganz anders Ingeborg Bachmann (Christiane Lemm). Vielfach zerrissen, verletzlich, zu Extremen neigend, in ihren Beziehungen scheiternd – eine Frau, die permanent am Leben und seinen furchtbaren Unzulänglichkeiten verzweifelt.
Die Unzulänglichkeiten des Lebens im Vergleich zu beruflichen und privaten Ansprüchen - ein unerschöpfliches Grundthema beider Frauen. Was sie immer verband, war die aufreibende Existenz im Kosmos der schriftstellerischen Arbeitsprozesse mit ihren Höhenflügen und Abstürzen. „Ich lebe nur, wenn ich schreibe“, sagte Kaschnitz. Es traf auf beide zu.
Der Abend ist ein literarisch-theatralischer Balanceakt. In den schönsten Momenten vereinen sich vier beeindruckende Persönlichkeiten - zwei Darstellerinnen und zwei Dichterinnen – zu einer Symbiose des Ausdrucks und zum universalen Hohelied künstlerischer Kreativität.
Man möchte der Produktion viele weitere Aufführungen wünschen.