Die Lebenserwartung steigt und die Menschen interessieren sich immer mehr für alte und neue Wege, Gesundheit und Wohlbefinden zu steigern. Das Sanatorium – eine für die Schweiz typische medizinische Institution – hat nach wie vor seine Anhänger. Natürlich haben diese Kurhäuser die alten thomas-mannschen, zauberberglerischen Kleider abgelegt. Von Wellness bis New Age entwickelt sich ein Angebot an Therapien, das kaum mehr zu überblicken ist. Die Botschaft: Es gibt für jeden einen Weg zum Wohlbefinden von der Jugend an bis hin zur Bahre.
Erstaunlicherweise ist das Phänomen Gesundheit in der Sphäre der Kultur noch sehr wenig verhandelt worden. Der Hamburger Regisseur und Kurator Matthias von Hartz ist als Kurator für das Schauspielhaus Zürich für die neue Reihe «re/location» verantwortlich. Dabei geht es um eine «Institutionenverschiebung» von der Wirklichkeit ins Theater. Als erstes verwandelt sich der Schiffbau ein Wochenende lang in ein Sanatorium. Auf mehreren Bühnen treten Künstler, Performer, Therapeuten und Theoretikern auf und bieten dem Publikum ihre Dienste an. In den letzten Monaten und Wochen konnten wir ein Aufgebot an Leuten zusammenbringen, das spannende Einblicke und Erlebnisse, Kontroversen und intellektuell anregende Unterhaltung verspricht. Hier einige Ausschnitte aus dem Programm:
PERFORMANCE / THEATER
Der bildende Künstler John Bock entwickelt exklusiv fürs Sanatorium mit den Schauspielern Anne Tismer und Thomas Loibl eine Performance in der Montagehalle des Schiffbau: eine Krankenhaus-Soap mit 3 Bahren, Kran, Wurm, Koffer, Selbstgestricktem und einem Huhn.
HEILUNG
Reverend Billy von der Church of Stop Shopping in New York wird während des ganzen Wochenendes für die Rettung unserer Seelen vor dem Kapitalismus aktiv sein. Bereits am Donnerstag wird er dazu in der Innenstadt unterwegs sein, in der Sanatoriumskapelle wird dann durchgehend individuelle Heilungen durchführen.
THEORIE
Führende Theoretiker und Mediziner werden das künstlerische Programm theoretisch untermauern. In unterschiedlichsten Formaten von der individuellen Theorie-Therapie (u.a. mit Jochen Hörrisch, Stefan Zweifel) über Mikrosymposien (u.a. mit Mike Müller) bis zu Vorträgen in der grossen Sanatoriumshalle begegnen sie Gästen vom Berliner Kulturtheoretiker Thomas Macho bis zu den Leitern Zürcher Psychiatrien und Kliniken (Isolde Eckle, Daniel Hell, Christine Huwig-Poppe, Brida von Castelberg und Daniel Grob)
INTERAKTION
Wer wirklich was für sich tun möchte, kann an den vielen künstlerischen Therapieangeboten teilnehmen: der Brüssler Künstler Lawrence Malstaff verpackt Zuschauer für kurze Zeit in Vakuum und das Sinfonieorchester TiFiCo bietet die einzigartige Möglichkeit beim Orchester-Karaoke die heilende Kraft des gemeinsamen Singens mit einem ganzen Orchester zu erleben.
Zudem werden u.a. Tanzperformances von Marisa Godoy und Xavier Le Roy (Self Unfinished), Theaterstücke von MASS & FIEBER und Jan Bosse, Theaterperformance mit 40 Zürcher Bürgern von Auftrag: Lorey zu sehen sein.
Der Zuschauer wird zum «Patienten» und ist eingeladen, während des Aufenthalts im Sanatorium Schiffbau sich sein eigenes Therapie-Programm zu wählen. Den Abschluss der Veranstaltung macht der «Zauberbergtanz», mit dem Team von Syntosil und Beatpirates, der alle Geheilten unter dem Sternenhimmel in den neuen Tag bringt.
Matthias von Hartz studierte Ökonomie an der London School of Economics and Political Science und Regie an der Universität Hamburg. Nach der Arbeit als Projektmanager in einer grossen Internetagentur und diversen Inszenierungen an Stadt- und Staatstheatern kuratierte er am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg das Projekt «go create™ resistance», eine Reihe von künstlerisch-politischen Themenabenden mit Künstlern, Aktivisten und Wissenschaftlern über die Ökonomisierung unserer Gesellschaft. Er realisierte Projektreihen für die RUHRtriennale, das schauspielfrankfurt und das museum kunst palast Düsseldorf. Ab 2007 leitet Matthias von Hartz das Sommertheaterfestival in Hamburg und zusammen mit Tom Stromberg das Festival «Impulse» in NRW.