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OPULENTE BILDER - Giacomo Puccinis "La Boheme" im Badischen Staatstheater KARLSRUHE

am 24.6.2023

Die Inszenierung von Ulrich Peters (Bühne und Kostüme: Andreas Becker) ist sehr opulent und ausgesprochen stimmungsvoll. Sie lässt diese Oper in der Zeit zwischen den Weltkriegen spielen. Alle hoffen auf bessere Zeiten. Und es ist auch die Welt, die Puccini während seines Studiums in Mailand kennenlernte. Das romantische Lebensgefühl dominiert sehr deutlich, man sieht im Hintergrund das Bild von Paris mit dem Eiffelturm.

 

Copyright: Arno Kohlem

Das spärliche Mobiliar wird angedeutet: Ein Kamin und ein Bett fallen besonders auf. Ulrich Peters hält sich ziemlich genau an das Libretto nach Henri Murgers Roman "Vie de Boheme" von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica. In dieser melancholischen Atmosphäre benehmen sich die vier jungen Männer albern und fast pubertär, wobei die Kontraste zwischen Komik und Tragik stark unterstrichen werden. Vor allem die große Dramatik am Ende des vierten Bildes beim Tod Mimis sticht hier deutlich hervor. Die an Tuberkulose erkrankte Mimi bleibt als Tote alleine zurück, die Protagonisten verlassen über die herabsteigende Treppe zuletzt alle den Raum.

Stark beschreibt Ulrich Peters auch den Trubel im zweiten Bild am Weihnachtsabend, der in scharfem Kontrast zur tristen Atmosphäre der übrigen Bilder steht. Die Einsamkeit der Menschen in einer großen Stadt wird dabei mit dem Trubel eines Weihnachtsabends vermischt. Mimi, die oft als  Madonna Raffaels oder femme fragile angesehen wird, erhält in dieser Inszenierung etwas zutiefst Menschliches und Berührendes. Sehr überzeugend wird auch die Rolle von Musette gestaltet, die zunächst im zweiten Bild eine eher oberflächliche Show abzieht, um dann im letzten Bild nicht nur beim Kauf des Muffs sehr tatkräftig zu handeln. Rodolfo flüchtet vor der Krankheit seiner großen Liebe - und wird am Ende umso heftiger mit ihrem Tod konfrontiert.

Die Zeitlosigkeit der Handlung fällt in dieser gelungenen Inszenierung immer wieder auf. Die Figuren sind von großer Aktualität, nicht nur wegen ihrer Nähe zu manieristischen Epochen. Sie fürchten sich vor der Realität und akzeptieren die Herausforderungen des Erwachsenwerdens nicht. Das Drama der sozialen Außenseiter wird dabei aber nicht überzeichnet, sondern eher  dezent angedeutet. Für manche mag solch ein Bühnenbild vielleicht zu bieder sein, es passt jedoch sehr gut zu Puccinis Musik.  

Unter der impulsiven Leitung von Georg Fritzsch gewinnt vor allem die musikalische und dramaturgische Gestaltung an Format. Fulminant ist schon der Beginn mit dem markant absteigenden Viertonmotiv im Fortissimo, worauf ein ultimativ aufsteigendes Viertonmotiv antwortet. Die Atmosphäre des riesigen Fensters mit Blick über die Dächer von Paris findet so auch in der musikalischen Gestaltung deutlich ihren Niederschlag. Als die beiden Freunde Rodolfo und Marcello bei der Arbeit sind, gewinnt die pulsierende Musik immer deutlichere Intensität, fliegt wie die Pinselstriche des Malers dahin. Überhaupt kommt der harmonische Fluss nie zu kurz. Dies zeigt sich auch bei Rodolfos berühmtem Arioso "Nei cieli bigi" ("Am trüben Himmel"), in dem er den fahlen Himmel von Paris besingt. Diese Melodie wird in ihrer überschwänglichen Zuversichtlichkeit von dem Tenor Jenish  Ysmanov als Rodolfo überzeugend gestaltet. Und die Übernahme dieser Melodie durch Marcello gewinnt elektrisierende Intensität.

Armin Kolarczyk als Marcello sowie Liangliang Zhao als philosophischer Kopf Colline arbeiten die musikalische Charakterisierung  genau heraus. In Intervallschritten fallen die Flammen zusammen - und das marschartige Thema gewinnt bei Shaunards Auftritt in der Darstellung von Ogulcan Yilmaz deutliche Kontur. Die Fülle kleiner Themen und Motive passt zu den stimmungsvollen Bilderfolgen, die den Zuschauer hier immer wieder überraschen und fesseln.

Georg Fritzsch arbeitet mit der Badischen Staatskapelle aber auch deutlich die überaus bewegliche Rhythmik heraus, die sich dem pausenlosen Fluss der Musik anpasst. Ausgezeichnet gestaltet die Sopranistin Ina Schlingensiepen die Partie der Mimi, deren Melodielinien sich in überwältigender Weise zwischen übermäßigen Intervallen und absteigenden Quinten steigern. Die Sehnsucht nach dem Frühling gewinnt hier immer deutlicheren Ausdruck. So gehört der erste Kuss des Aprils sehr deutlich Mimi. Das leidenschaftliche Liebesduett "O soave fanciulla - O du süßes Mädchen" erinnert klar an Motive aus Rodolfos Arie "Che gelida manina". Auch Weihnachtstrubel, Walzer und Wachparade im zweiten Bild gelingen mit den aneinandergereihten grellen Akkorden der Trompeten elektrisierend und überaus mitreissend. Puccinis lebhafte musikalische Schilderungen zeigen immer wieder neue Facetten. Holzbläser, Harfe und Glockenspiel charakterisieren  beispielsweise das Verbrennen von Rodolfos Manuskript.

Den stärksten Eindruck gewinnt man von Mimis Sterbeszene, wo sie sich sehr hellsichtig zeigt ("Bella come un tramonto - Schön wie ein Sonnenuntergang"). Uliana Alexyuk gewinnt der gebetsähnlichen Psalmodie Musettes am Schluss des Werkes etwas Ergreifendes und Unwiederbringliches ab. Das Motiv des letzten Liebesduetts in dreifachem Forte reisst die Zuhörer unmittelbar mit. Und die Musik verlöscht in dreifachem Piano. Georg Fritzsch macht auch die einzigartige Orchesterbehandlung Puccinis immer wieder in durchsichtiger Weise deutlich. Ökonomischer Einsatz und üppige Melodik ergänzen sich gegenseitig.

Lyrisch-kantable und deklamatorisch-buffoneske Szenen wechseln sich in reizvoller Weise ab. Dies machen die übrigen Sänger Luiz Molz als Benoit, John Pickering als Alcindoro, Oliver Huttel als Parpignol, Alexander Huck als Sergeant der Zollwache, Edgars Skarbulis als Zöllner und Verena Rau als Stelzenläuferin deutlich. Der Badische Staatsopernchor sowie Cantus Juvenum Karlsruhe (Leitung: Ulrich Wagner) gewinnen dem Klangfarbenreichtum und der Strahlkraft dieser Musik  immer neue Facetten ab. Den filigranen Klangzauber dieser Musik könnte man bei einzelnen Passagen sogar noch steigern.

Am Schluss einhelliger Jubel.
 

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