Walter Braunfels galt im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts als einer der zukunftsweisenden deutschen Opernkomponisten neben Richard Strauss, Alban Berg oder Franz Schreker. Bedeutende Dirigenten wie Max von Schillings, Wilhelm Furtwängler und Bruno Walter setzten sich für die Aufführung seiner Werke ein. Die Uraufführung seiner Oper »Die Vögel« 1920 in München war ein überwältigender Erfolg, der internationale Beachtung erfuhr. 1925 wurde Braunfels vom Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer zum Leiter der dortigen Musikhochschule berufen; desweiteren war er Mitglied der Preußischen Akademie der Künste.
Doch mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten verlor Braunfels als sogenannter »Halbjude« alle seine Ämter und erhielt Aufführungsverbot. Die Zeit des Nationalsozialismus verbrachte er zurückgezogen in der Nähe des Bodensees. 1945 erneut zum Rektor der Kölner Musikhochschule berufen, konnte er nicht mehr an seine alten Erfolge anknüpfen. Erst in den vergangenen rund fünfzehn Jahren werden Braunfels´ Werke wieder aufgeführt, dank des Einsatzes so prominenter Dirigenten und Regisseure wie Lothar Zagrosek, Ulf Schirmer, Manfred Honeck oder Christoph Schlingensief. So wurden alle erhaltenen Braunfels-Opern wieder aufgeführt – abgesehen von »Ulenspiegel«.
Die Oper basiert auf dem 1867 erschienenen Roman von Charles de Coster »Thyl Ulenspiegel – Die Legende und die heldenhaften, fröhlichen und ruhmreichen Abenteuer von Ulenspiegel und Lamme Goedzak«. Der belgische Autor verlegt das Geschehen in die Zeit des Spanisch-Niederländischen Kriegs im 16. und 17. Jahrhundert. Till Eulenspiegel, eigentlich ein Narr, der dem Volk einen Spiegel vorhält, legt sich mit den Spaniern an und flieht deshalb schließlich nach Vlissingen. Als seine Geliebte Nele die Nachricht vom Tod seines Vaters Klas durch die Inquisition überbringt, schwört er Rache und ruft die Bürger von Vlissingen zum Kampf gegen die Spanier auf.
Die musikalische Leitung liegt in den Händen des 1. Kapellmeisters Jens Troester, der bereits bei den Wiederentdeckungen der Opern »Scharlatan« von Pavel Haas und »Wallenstein« von Jaromír Weinberger am Pult des Philharmonischen Orchesters Altenburg-Gera stand. Regie führt Matthias Oldag, Generalintendant und Operndirektor von Theater&Philharmonie Thüringen. Für das Bühnenbild zeichnet der international renommierte Architekt Stephan Braunfels (u.a. Pinakothek der Moderne, München; Regierungsbauten, Berlin) verantwortlich, ein Enkel des Komponisten.
In der Titelpartie ist Keith Boldt zu erleben. Der kanadische Tenor studierte Gesang in seinem Heimatland und erhielt dort auch zahlreiche Preise und Auszeichnungen, z.B. den 1. Preis des »International Bel Canto Competition« in Toronto. Seine Karriere begann er als Mitglied verschiedener kanadischer Opernensembles, wo er zahlreiche Rollen verkörperte, darunter den Steuermann (»Der Fliegende Holländer«), Siegmund (»Die Walküre«), Max (»Der Freischütz«), Don José (»Carmen«) und Eisenstein (»Die Fledermaus«). Sein deutsches Operndebüt feierte Boldt als Harlekin in »Der Kaiser von Atlantis« und Le Berger in »Oedipus Rex« am Theater Hof. Weitere Engagements führten ihn ans Aldeburgh Festival in London, an die Oper Leipzig sowie auf große Europatournee mit »Das Land des Lächelns«.
Begleitend zu dieser Inszenierung wird vom 23. Januar bis 6. März 2011 im Spiegelfoyer der Bühnen der Stadt Gera eine Ausstellung mit dem Titel »Zu Unrecht vergessen – Opernwiederentdeckungen bei Theater&Philharmonie Thüringen« präsentiert. In den letzten drei Jahrzehnten hat die Musiktheater-Sparte der Bühnen der Stadt Gera in großer Regelmäßigkeit Werke von Komponisten jüdischer Provenienz auf die Bühne gebracht. Einst international gefeierte Tonsetzer wie Franz Schreker (»Der ferne Klang«, »Der Schatzgräber«), Viktor Ullmann (»Der Kaiser von Atlantis«), Erich Wolfgang Korngold (»Die tote Stadt«), Alexander Zemlinsky (»Eine florentinische Tragödie«), Pavel Haas (»Scharlatan«) oder Jaromír Weinberger (»Wallenstein«) wurden zu Zeiten des Nationalsozialismus vertrieben, verfolgt oder ermordet. Ihr Œuvre – als »entartete Kunst« gebrandmarkt – wurde mit einem Aufführungsverbot belegt und geriet nach 1945 aus verschiedenen Gründen weitgehend in Vergessenheit. Die Wiederentdeckung dieser Opern erwies sich immer wieder als lohnend, zeugen sie doch von einer musikhistorischen Epoche, die – wenn auch noch verwurzelt in den Traditionen der Spätromantik – von einer großen Aufbruchsstimmung geprägt war, von einer Experimentierfreude, die oft die Grenzen zwischen sogenannter ernster und unterhaltender Musik überschritt und volkstümlichen Melodien genauso integrierte wie etwa den Jazz. Die darin verhandelten Themen zeugen von einer großen Bandbreite und lassen sich schwerlich unter wenigen Schlagworten subsumieren.
Die Ausstellungseröffnung erfolgt im Rahmen einer Matinee am 23. Januar 2011, 11.00 Uhr, bei der beteiligte Künstler, u.a. Stephan Braunfels, Matthias Oldag, Jens Troester, Marie-Luise Dreßen und Keith Boldt, Einblick in ihre Arbeit gewähren und musikalische Kostproben geben. Es moderiert Dramaturg Felix Eckerle.
Die Neuinszenierung der Oper »Ulenspiegel« wird am 28. Januar von MDR Figaro live übertragen. Deutschlandradio Kultur sendet die Aufzeichnung am 5. März 2011.
Ulenspiegel
Oper in drei Aufzügen op. 23
Libretto und Musik von Walter Braunfels
Musikalische Leitung: Jens Troester
Regie: Matthias Oldag
Bühne: Stephan Braunfels
Kostüme: Hendrike Bromber
Choreinstudierung: Ueli Häsler
Dramaturgie: Felix Eckerle
Mit Keith Boldt (Ulenspiegel), Marie-Luise Dreßen (Nele), Shavleg Armasi/Bernhard Hänsch (Klas), Olaf Plassa (Profoß), Christoph Rosenbaum (Schneider, 3. Fischer) Günter Markwarth (Seifensieder, Zimmermann), Michael Siemon (Schreiber, 1. Fischer), Kai Wefer (Schuster, Jost), Teruhiko Komori (Bürgermeister von Vlissingen, Schreiner, Bäcker), Peter Paul Haller (Ablasspriester, 2. Fischer), Elke Böhm (altes Weiblein), Konrad Zorn (Soldat), Heiko Retzlaff (Schmied von Damme), Andreas Veit (Arkebusier), Annick Séférian (junges Mädchen)
Philharmonisches Orchester Altenburg-Gera
Opernchor und Chorgäste von Theater&Philharmonie Thüringen
Weitere Vorstellungen in Gera: 4.2., 5.3., 24.4.2011