„Das Papiertheater braucht nicht viel Platz, weshalb man es gut im privaten kleinen Kreis, mit Freunden oder in der Familie, spielen konnte“, sagt Liselotte Bothe. Jeder, der Zeichenstift, Schere, Kleber und ein paar Bögen Papier im Haus hatte, konnte Dramen und sogar Opern dank der Erfindung der Lithographie Ende des 18. Jahrhunderts ins eigene Wohnzimmer holen. Der Erfolg des „Freischütz“ 1821 ermunterte 16 Firmen dazu, 25 verschiedene Figurenbögen allein zu dieser Oper herauszubringen. Selbst ohne die nötige Begabung, die Figuren oder Szenerien selbst zu entwerfen, genügte es nun, die für wenig Geld erworbenen Ausschneidebögen zu nutzen. Vor allem beim Bildungsbürgertum des ausgehenden Biedermeiers, zur Zeit der Romantik und des späten 19.Jahrhunderts kannte die Begeisterung keine Grenzen. In dieser Zeit waren unzählige Druckbögen für das Spiel im eigenen Heim im Angebot.
Die Erfindungen der modernen Unterhaltungselektronik ließen das Papiertheater weitgehend in der Versenkung verschwinden. Einige der Künstler, die das Fach noch beherrschen, versammelt Liselotte Bothe an vier Tagen im Oktober in München, wo sie Stücke für große und kleine Zuschauer zeigen: Papirniks Papiertheater verzaubert das Publikum mit dem orientalischen Märchen „Abu Hassan“. Robert Jährig (Heringsdorf) spielt Andersens Märchen „Die Nachtigall“, und das Papiertheater Kitzingen bringt das Märchen „Vom kleinen Drachen und der Aprikosenblüte“ aus Japan nach Oberföhring. Das Grusical „Dracula“ (Invisius Papiertheater, Berlin) nimmt in Transsilvanien Fahrt auf, „Peter und der Wolf“ führt die Zuschauer nach Russland, und Ulrich Chmels Bauchladenbühne wird mit „Chinesische Lyrik oder eine Affäre in Briefen“ zum Schauplatz interkultureller Verwirrungen. In seiner Bauchladenbühne erzählt er auch die fernöstliche Geschichte „Sakura, die verzauberte Prinzessin“, mit Drehorgelmusik von Winfried Klein. Alle Stücke zeigen, wie sehr die fremde, geheimnisumwitterte Welt des nahen und fernen Osten die Phantasie der Autoren und Spieler beflügelt.
Die Berliner Ausstellung „Theater fürs Wohnzimmer: Bühnen aus 4 Jahrhunderten" mit Bühnen im Guckkasten-Format begleitet das Festival. Bei einem Workshop haben alle großen und kleinen Teilnehmer Gelegenheit, selbst zur Schere zu greifen und Theaterdirektor einer Minibühne zu werden.
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