Die Uraufführung der ersten Fassung von Antonin Tschechows erstem Bühnenwerk "Iwanow", 1887 in nur drei Wochen geschrieben, fand im November 1887 in Moskau statt. In einer neuen deutschen Übersetzung von Alexander Nitzberg, behutsam modernisiert, hatte es jetzt am Kleinen Haus des Schauspielhauses Düsseldorf Premiere.
Iwanow (Götz Schulte) ist sich selbst fremd, ist müde geworden, aller Elan ist dahin, mit Anfang vierzig ist er ausgebrannt. Nach fünf Jahren Ehe ist ihm die Liebe zu seiner Frau abhanden gekommen. Er ist tief verschuldet. Alles langweilt ihn. Um der Langeweile zu entkommen flieht er immer wieder zu seinem Freund Lebedew, bei dessen Frau er fatalerweise verschuldet ist. Aber auch bei den Lebedews herrscht Langeweile, denn die Hausfrau ist dermaßen geizig, dass es nur zu Tee und Stachelbeermarmelade reicht und das Licht ständig heruntergedreht wird. Die Bitten ihres Mannes, doch den Gästen Essen zu geben, werden geflissentlich überhört. Gabriele Köster spielt diese Sinaida Sawwischna mit einer ungerührten steinernen Härte, eine mitleidslose, geizige Frau, die einzig zu Gefühlen fähig ist, wenn es an ihr Geld gehen soll. Michael Abendroth als Pawel Lebedew überzeugt durch sein ruhiges Spiel. Er ist der einzige, der von Mitgefühl und Verständnis bewegt ist. Gegen seine Frau kann er sich nicht durchsetzen, resigniert sucht er Trost im Alkohol.
Spielen, Wodka und Tee trinken, Tratschen und Verleumden, alles strahlt die gleiche Langeweile bei Lebedews Abendgesellschaft aus. Auch der reichen Witwe, Claudia Hübbecker als Marfa Babakina, gelingt es nicht recht, die Gesellschaft mit ihrer Exzentrik aufzumischen. Derweil spinnt der toughe Iwanowsche Gutsverwalter Borkin seine Fäden, er möchte sie mit dem verarmten, heruntergekommenen und etwas weinerlichem Grafen Matwej Schabelski (Matthias Leja) verkuppeln, das scheint ihm ein gutes Geschäft: für ihn das Geld, für sie der Grafentitel. Überhaupt hat Borkin immer die besten Ideen, wie man irgendwo kräftig Kapital herausschlagen könnte, nur gilt es dabei, die immerhin doch noch vorhandenen Skrupel zu überwinden. Iwanow verweigert sich. Markus Scheumann spielt den Michail Borkin mit einer überzeugenden Leichtigkeit. Mangels adäquater Heiratskandidaten verliebt sich die Tochter Lebedews, Nadine Geyersbach als Schura, in Iwanow. Sie hat das Helfersyndrom und sieht in seiner Erweckung eine Aufgabe. Ihren Gesangsauftritt mit Goethes "Meine Ruh' ist hin" hätte man sich getrost sparen können, er weckt nur falsche Assoziationen, denn ein Gretchen ist Schura nun wirklich nicht.
Iwanows todkranke Frau Anna Petrowna, zerbrechlich von Christiane Paul gespielt, langweilt sich derweil allein zu Hause, denn der Arzt hat ihr Ausfahrten nach Sonnenuntergang verboten. Nachdem sie wegen Iwanow alles aufgegeben hat, ihren Glauben, ihr Elternhaus, nachdem sie die Enterbung und Verstoßung durch die Eltern in Kauf genommen hat, muss sie schmerzlich gewahren, dass ihr Mann sie nicht mehr liebt. Die Streitszene zwischen ihr und Iwanow ist von beiden eindringlich und überzeugend. Etwas blass bleibt in dieser Inszenierung die Rolle des Arztes Jewgenij Lwow, gespielt von Felix Klare, der sich in Anna verliebt hat, sie schonen möchte, dabei immer den Moralapostel spielt und wenig Verständnis für Iwanows depressive Anwandlungen hegt.
Nach dem Tod Annas ist die Hochzeit zwischen Schura und Iwanow geplant. Am Tag der Hochzeit haben aber nicht nur Schuras Vater und Schura selbst Zweifel, ob es richtig sei, diese Hochzeit zu vollziehen, sondern auch Iwanow, der keinen Ausweg mehr aus seiner verfahrenen Situation sieht und sich erschießt.
Trotz des "langweiligen" Themas folgt man gebannt den Akteuren auf der Bühne, ihren ewig sich wiederholenden Worthülsen, ihren ewig gleichen Ritualen, ihren banalen Gesprächen. Amelie Niermeyer gelingt es, diese Langeweile nicht auf den Zuschauer überspringen zu lassen. "Iwanow" zeigt eine unfähige Gesellschaft, die sich aus Frustration in die Untätigkeit zurückgezogen hat und aller Ideale verlustig gegangen ist, ein Thema, das uns immer wieder in Tschechows Stücken begegnet.
Inszenierung: Amélie Niermeyer
Bühne: Stefanie Seitz
Kostüme: Kirsten Dephoff
Musik: Cornelius Borgolte
Darsteller (in): Götz Schulte, Christiane Paul, Matthias Leja, Michael Abendroth, Gabriele Köstler, Nadine Geyersbach, Felix Klare, Claudia Hübbecker, Markus Danzeisen, Markus Scheumann
Premiere 23.02.2008 um 19.30 Uhr, Kleines Haus