Auch der Doktor macht sich mit seinem, für ihn ganz alltäglich gewordenen, Antisemitismus, der sich aus gekränkter Eitelkeit und scheinbar verallgemeinerbaren Erfahrungen mit Juden speist, bei Andri nicht beliebt. Immer mehr nimmt Andri die Zuschreibungen und Vorstellungen, wie er als Jude zu sein habe, für sich an. Nicht nur das Familiengefüge leidet unter dem „Die Wahrheit wird man in Andorra wohl noch sagen dürfen“-Gestus der andorranischen Bevölkerung, sondern auch in der Beziehung zwischen Barblin und Andri nehmen die feindlichen Ressentiments einen immer größer werdenden Raum ein.
Der Besuch der Senora, Andris leiblicher Mutter, aus dem Nachbarland, endet für die Frau tödlich und Andri wird, obwohl er unschuldig ist, des Mordes bezichtigt. Die Wahrheit, dass Andri der Sohn des Lehrers und der Senora ist, kommt zu spät ans Licht. Andri hat sich seine jüdische Identität wie eine zweite Haut angezogen und die Andorraner beharren auf Andri, den „Jud“. Bei dem feindlichen Übergriff des Nachbarvolkes schauen die Andorraner tatenlos zu, wie Andri dem Schicksal seiner Zuschreibungen nicht entkommen kann. Kein Andorraner kann und will mehr die Wahrheit sehen.
Neben „Biedermann und die Brandstifter“ ist „Andorra“ das wohl bekannteste Theaterstück des Schweizers Max Frisch. „Andorra“, 1961 in der Schweiz uraufgeführt, wurde auch in Deutschland zu Beginn der sechziger Jahre vielfach inszeniert, so fand die Deutsche Erstaufführung zeitgleich in München, Düsseldorf und Frankfurt statt, und auch in Detmold war „Andorra“ in der Spielzeit 1962/63 zu sehen. Frisch schrieb in der modellhaften Versuchsanordnung eines Lehrstücks einen der meist gespielten Theatertexte nach dem Zweiten Weltkrieg und nahm darin die Fragen nach Schuld und (Mit-)Täterschaft und die gesellschaftlichen Mechanismen von Vorurteilen und Ausgrenzung in den Blick.
In unserer Gegenwart, in welcher die Erinnerungskultur erneut zur Diskussion steht, vom „Denkmal der Schande“ gesprochen wird, Antisemitismus und Hetze ungefiltert an die Oberfläche treten können und der Spruch „Nazis raus“ eine Welle von Widerspruch auslöst, ist ein neuer, aktueller Blick auf „Andorra“ unumgänglich. Regisseur Alexander Schilling befragt Frischs Nachkriegstheaterstück auf seinen heutigen Gehalt und zieht die Geschichte in die Gegenwart des Jahres 2019.
Inszenierung Alexander Schilling
Bühne und Kostüme Stephan Mannteuffel
Dramaturgie Arne Bloch
Andri Emanuel Weber
Barblin Ewa Noack
Der Lehrer Patrick Hellenbrand
Die Mutter / Die Senora Natascha Mamier
Der Soldat André Lassen
Der Wirt Heiner Junghans
Der Tischler Henning Bormann
Der Doktor Jürgen Roth
Der Geselle Adrian Thomser
Weitere Vorstellungen: 17.03. / 20.03. / 27.03. / 12.04. / 13.04. / 05.05. / 13.06.2019
30 Minuten vor Beginn der Vorstellung findet jeweils eine Einführung im Zwischenrang-Foyer statt.
Einführungsmatinee: Sonntag, 10. März 2019, 11.30 Uhr, Lippische Landesbibliothek
Vis-á-vis: Sonntag, 24. März 2019, 10.00 Uhr, Erlöserkirche am Markt
NachSpiel: Freitag, 13. April 2019, Foyer-Restaurant, im Anschluss an die Vorstellung
TheaterUpdate! [14-19]: Mittwoch, 27. März 2019, Treffpunkt 18.45 Uhr im Kassenfoyer
Anmeldung unter: theaterupdate@landestheater-detmold.de
Das Bild zeigt Max Frisch