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Heiliger Krieg

"Heiliger Krieg" von Rainald Goetz an den Münchener Kammerspielen

Rainald Goetz war noch sehr jung, als er 1983 beim berühmten Klagenfurter Preislesen einen blindwütigen Amoktext rezitierte und sich dabei mit einem Messer die Stirn aufschlitzte. Die Aktion mag nicht ohne berechnenden Geltungsdrang inszeniert worden sein, immerhin zeigt sie eine Grundgestimmtheit, der dieser hochbegabte Autor treu geblieben ist: eine explosive Mischung aus Aggression, Enttäuschung, Menschenhass und Weltekel.

1986 schrieb er die Dramentrilogie "Krieg". Sie entstand unter dem Eindruck des ersten Golfkriegs, doch wurde eine deutsche Bürgerkriegsfantasie daraus. Es war drei Jahre vor der Wende, die Landkarte noch streng geteilt in Ost und West. Aber ich denke, Goetz würde seine Kriegsstücke heute ähnlich schreiben, jede Aktualität ist nur Schein, denn sein wütender Weltschmerz hat tiefere Ursachen, seine Texte sind im Grund Kriegserklärungen an die Natur des Menschen schlechthin.

 

Die Münchner Kammerspiele haben sich jetzt des ersten Stücks der Trilogie angenommen, genannt "Heiliger Krieg". Es ist eine Vulkanlandschaft angerissener Szenen. Aus scheinbar harmlosen Auftritten skurriler Menschen züngeln immer wieder kurz die Feuer und Lavaergüsse gefährlicher Bösartigkeit. Ob es zwei bayrische Sturztrinker sind, die ihre einst revolutionären Ideale jetzt zu Saufsprüchen verkommen lassen, ein Hähnchenbrater, der den Spiess unversehens gegen einen lästigen Zeitgenossen richtet, ein Businessman, der sich wütend halb zu Tode telefoniert, die knackigen Mädels im Dirndl, die höchstens ansatzweise mitreden dürfen, oder die zwei Soldaten, die immer wieder herumballern - alle sind spiessig und gefährlich zugleich. Das Ganze ein hasserfüllter Ausverkauf der Gesinnungen in literarisch geschliffener Sprache, ein abgründiges Hochamt der Hoffnungslosigkeit.

 

Lars-Ole Walburg, hochgelobter Regisseur aus der Talentschmiede des Basler Theaters, hat unheimlich schwerelos inszeniert, mit vielen schönen Einfällen und einem sirrenden Witz, der plötzlich in Härte und Ernst umschlagen kann.

Die Bühnenbildnerin Barbara Ehnes stellte lauter Versatzstücke aus dem Innenraum einer bayrischen Barockkirche auf die Bühne. An den Wänden prangen die modernen Ikonen, die Plakate der Produktwerbung. Die Schauspieler sind allesamt ausgezeichnet, die ganze Aufführung treibt auf höchstem Niveau mit dem Entsetzen ihren finsteren, verspielten Scherz. Die unheiligen Kleinkriege unter den Menschen! Solang wir nicht damit aufhören, wird es auch immer wieder grosse "heilige Krieger" geben, die ihre Waffen von der Kirche segnen lassen.

 

Premiere am 15. Februar 2003 in der Jutierhalle an der Dachauer Straße

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