Stattdessen helfen Intrigen, Mobbing, Manipulationen und gezielte Rhetorik. Das weiß nicht nur der neue Chef, sondern auch der Quereinsteiger Selicour. Seine Karriere zeigt, wie man auf schnellstem Weg nach oben kommt: Indem man sich die Arbeit anderer, etwa des kompetenten, aber zurückhaltenden Firmin, zu nutze macht. So gelingt es Selicour, nicht nur seinen Chef, sondern auch dessen Frau von sich zu überzeugen, und bald darf er sich Hoffnung machen, deren Tochter Karlotta zur Frau zu bekommen. Bei so viel Erfolg lassen die Neider nicht auf sich warten: der entlassene Mitarbeiter La Roche sinnt gemeinsam mit dem Sohn Firmins auf Rache.
Im Stück gewinnt – wie in der Realität – nicht automatisch das Gute, sprich: Sympathische. So hat auch „Der Parasit“ in Bernhard Stengeles Inszenierung (mindestens) drei verschiedene Schlüsse, die zeigen, dass Erfolg nicht immer moralisch gerecht ist. Konsequenterweise entfaltet sich im Wahljahr 2009 bei Stengele die Handlung vor dem Hintergrund eines überdimensionalen Wahlplakates. Komik und Tragik der Einzelschicksale liegen in dieser Inszenierung nahe beieinander, die vor allem auf die Wiedererkennbarkeit der Verhältnisse zielt: Charaktere wie du und ich, die sich mit ganz alltäglichen Machtspielchen, wie man sie in jedem Büro findet, konfrontiert sehen.
Dass Qualifikation und Karriere nicht unbedingt etwas miteinander zu tun haben, ist nichts Neues: Gerade in diesem Punkt beweist das Stück „Médiocre et rampant ou le moyen de parvenir“, von Louis-Benoît Picard im Jahr 1797 verfasst und von Schiller 1803 unter dem Titel „Der Parasit oder Die Kunst, sein Glück zu machen“ ins Deutsche übersetzt, zeitlose Aktualität. Seinen Lebenslauf zu „beschönigen“ oder mit gezielter Rhetorik seine Schwächen zu Stärken zu machen, wie es in einer Vielzahl von Karriereratgebern nachzulesen ist, gehört nicht erst seit heute zum Berufsalltag.
Angesicht der aktuellen Wirtschaftskrise wird allerdings besonders deutlich, wie fragil dieses auf dem Recht des Stärkeren beruhende System ist: Wenn nicht einmal mehr die Biographien der Verantwortlichen auf Fakten beruhen, ist es kaum erstaunlich, wenn die Blase eines Tages platzt.
Inszenierung Bernhard Stengele
Bühne und Kostüme Birgit Remuss
Körper- und Stimmtraining Anna Sjöström
Dramaturgie Petra Paschinger
Narboni, Chef Rainer Appel
Madame Narboni, seine Frau Edith Abels
Karlotta, seine Tochter Anne Diemer a.G.
Selicour, Untergebener des Chefs Kai Christian Moritz
La Roche, Untergebener des Chefs Andreas Anke
Firmin, Untergebener des Chefs Max De Nil
Karl Firmin, Künstler Philipp Reinheimer
Michel, Kämmerer Christian Manuel Oliveira
Robineau, Vetter des Untergebenen des Chefs Kai Markus Brecklinghaus