Der 30. Ballettabend an der Deutschen Oper am Rhein beginnt furios mit Remus Şucheanăs "Concerto grosso Nr. 1" zu Alfred Schnittkes gleichnamigem Musikstück. Zu der polystilistischen Komposition mit Überlagerung von verschiedenen musikalischen Motiven aus unterschiedlichen Epochen - heraus zu hören ist u.a. ein Tango - zeigt Şucheană die Gefühle dreier Frauen. Ihn interessieren dabei die verschiedenen Facetten der Einsamkeit: die Einsamkeit der heranwachsenden Tochter, die Einsamkeit nach den Ende einer Liebesbeziehung, die Einsamkeit aufgrund einer Unangepasstheit. Er spielt mit dem Gegensatz und dem Dialog des Einzelnen zur Gruppe. Seine Tanzsprache spiegelt die inneren Konflikte wieder, wenn die Tänzer fast aus der Balance zu kippen scheinen. Kleine Verschiebungen im klassischen Bewegungsvokabular unterstreichen seine Intention, das Gefühl der Ausgegrenztheit darzustellen.
Eine Zeitungsnotiz über das vermeintliche Aussterben einer Riesenschildkrötenart auf den Galapagosinseln war für Marco Goecke Anlass, "Lonesome George" zu kreieren. Auch dies ein Stück über Einsamkeit. Die Beinarbeit tritt zugunsten einer ausgeklügelten Handchoreographie zurück. Die extrem schnellen, mal flatternden. mal zitternden Handbewegungen, das Körperabtasten machen die existenzielle Verunsicherung deutlich. Ab und zu sind Schnauf- und Keuchgeräusche und das Rufen nach George zu hören. Auch wenn George doch nicht der Letzte seiner Art war, - auf einer Nachbarinsel wurden Artgenossen gesichtet - dieses grandiose Werk von Goecke haftet sich im Gedächtnis ein und macht George unsterblich.
Dagegen ist das letzte Stück des Abends "Wounded Angel" von Natalia Horecna weniger geglückt. Mittelalterliches Mysterienspiel trifft auf Commedia dell'Arte. Auf den Kostümen der Tänzer finden sich Bezeichnungen der dargestellten Eigenschaften: Liebe, Herz, Furcht, Eifersucht, Unsicherheit, Poor me syndrome, Reichtum, Selbstliebe, Glaube, Erfolg. Einige sind mit Pömpel am Kopf und Stummelschwänzchen am Hintern ausgestattet. Ego fungiert als Störer. Und dann ist da noch Yuko Kato als müder Engel mit Federflügeln, der auf einer Bahre hereingetragen wird und sich im Verlauf des Stückes eine Himmelsleiter herauf quälen muss, während im Vordergrund die schlechten Gefühle herumalbern. Das ist doch allzu plakativ. Ein tieferer Sinn erschließt sich nicht, und was humorvoll angedacht ist, führt nur zu einem gequälten Lächeln. Auch die musikalische Mischung von Bartok, Berg und Bouliane mit folkloristischer Dorfmusik ist wenig geglückt.
Concerto grosso Nr. 1 (Uraufführung) Remus Şucheană
MUSIK Concerto grosso Nr. 1 für zwei Violinen, Klavier/Cembalo und Streicher von Alfred Schnittke
Choreographie: Remus Şucheană
Musikalische Leitung: Jean-Michaël Lavoie
Bühne & Kostüme: Darko Petrovic
Licht: Thomas Diek
Violinen: Franziska Früh, Dragos Manza
Klavier/Cembalo: Christian Grifa
Tänzerinnen: Ann-Kathrin Adam, Marlúcia do Amaral, Doris Becker, Sabrina Delafield, Sonia Dvorak, Nathalie Guth, Alexandra Inculet, Christine Jaroszewski, Kailey Kaba, Yuko Kato, So-Yeon Kim, Norma Magalhães, Asuka Morgenstern, Virginia Segarra Vidal, Elisabeta Stanculescu, Irene Vaqueiro
Tänzer : Rashaen Arts, Brice Asnar, Yoav Bosidan, Rubén Cabaleiro Campo, Odsuren Dagva, Michael Foster, Filipe Frederico, Philip Handschin, Vincent Hoffman, Sonny Locsin, Tomoaki Nakanome, Chidozie Nzerem, Marcus Pei, Friedrich Pohl, Arthur Stashak, Eric White
Orchester: Düsseldorfer Symphoniker
Lonesome George Marco Goecke
MUSIK Streichquartett Nr. 8 c-Moll op. 110 von Dmitri Schostakowitsch in der Bearbeitung als Kammersinfonie für Streichorchester op. 110a von Rudolf Barschai
Choreographie: Marco Goecke
Musikalische Leitung: Jean-Michaël Lavoie
Bühne & Kostüme: Michaela Springer
Licht: Udo Haberland
Dramaturgie: Nadja Kadel
Tänzerinnen: Marlúcia do Amaral, Camille Andriot, Wun Sze Chan, Mariana Dias, Nathalie Guth
Tänzer: Alban Pinet, Michael Foster, Sonny Locsin, Arthur Stashak, Marcos Menha, Bruno Narnhammer, Alexandre Simões
Orchester: Düsseldorfer Symphoniker
Wounded Angel (Uraufführung) Natalia Horecna
MUSIK Duo Probosci, Alban Berg, Denys Bouliane und Béla Bartók
Choreographie & Kostüme: Natalia Horecna
Musikalische Leitung: Jean-Michaël Lavoie
Bühnen-Entwurf: Mario Ilsanker
Bühnen-Realisation: Darko Petrovic
Licht: Thomas Diek
Duo Probosci: Timba Harris, Gyan Riley
Klavier: Christian Dammann / Wolfgang Wiechert
Soloklarinette: Wolfgang Esch / Nicole Schrumpf
The Love: Marcos Menha
Wounded Angel: Yuko Kato
The Heart: Camille Andriot
Ego: Rubén Cabaleiro Campo
Fear: Bruno Narnhammer
Jealousy: Alban Pinet / Boris Randzio
Insecurity: Yoav Bosidan / Arthur Stashak
Poor me syndrome: Feline van Dijken
Wealth: Virginia Segarra Vidal
Self love: Wun Sze Chan / Sonia Dvorak
The Believe: So-Yeon Kim / Asuka Morgenstern
Success: Alexandre Simões
The soul's couple: Kailey Kaba, Doris Becker, Friedrich Pohl, Philip Handschin
Orchester: Düsseldorfer Symphoniker
Premiere 14.01.2017 - Opernhaus Düsseldorf