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EIN MÄRCHEN IN BAROCK-FORM -- "werk_statt_festival" des Studio Neue Musik im Konzertsaal der Musikhochschule STUTTGART

am 30.5.2025

Interessante neue Werke aus den Kompositionsklassen von Prof. Luxa M. Schüttler und Prof. Marco Stroppa konnte man beim traditionellen Konzert des Studios Neue Musik im Konzertsaal der Musikhochschule erleben.

 

Das "echtzeitensemble" des Studios Neue Musik der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart unter der souveränen Leitung von Christof M Löser ließ die reizvollen dynamischen Kontraste von "whoinvitedthebass" von Can Boerescu in differenzierter Weise Revue passieren. Dieses für E-Bass und "brass quintett" geschriebene Stück überzeugte vor allem aufgrund fesselnder chromatischer Passagen und fulminanter Crescendo-Steigerungen, die die Intonation der Blechbläser herausforderten. So konnte man neuartige harmonische Verbindungen und Klangwelten heraushören. Henrik Schnaitmann (E-Bass), Rafael Benker (Horn), Michael Kashevskii (Posaune 1), Julian Pfeil (Posaune 2), Henghui Liu (Tuba 1) und Spiros Grimas (Tuba 2) beschworen diesen Klangkosmos mit starken akustischen Kontrasten. "Noche oscura" (in memoriam Ahmed Mansour) von Vahid Hosseini für Flöte, Baritonsaxophon, Violine, Viola und Violoncello bestach unter der inspirierenden Leitung von Christof M Löser mit Tremolo- und Pizzicato-Passagen, die das harmonische Geschehen regelrecht anfeuerten. Insbesondere die Flöten-Sequenzen und die leisen, hauchdünnen Bewegungen der Streicher hinterließen einen starken Eindruck. Plötzlich ging das Licht aus und die Musiker spielten ihre Passagen fast lautlos in der Dunkelheit. Das besaß wirkungsvolle Effekte, zumal der klangliche Widerstand vorher umso größer gewesen war. 

Das "echzeitEnsemble" des Studios Neue Musik mit Matteo Diego Scarella (Flöte), Yen-Chen Lee (Baritonsaxophon), Damian Dimitrov (Violine), Robert Stangenberg (Viola) und Lilly Schnidrig (Violoncello) bot eine packende Leistung. In der subtilen Klangregie von Christopher Opelt konnten dann Milena Roder (Flöte), Marianne Reh (Klarinette), Anna Fiveiska (Schlagzeug), Arisa Ueda (Klavier) und Marc Lanconner (Gitarre) bei "Vigiles" op. 116 von Francois-Bernard Mache überzeugen. Hier verband sich der suggestive Klang von Vogelgezwitscher mit Klavier- und Xylophon-Passagen, die eine filigrane Gesamtwirkung erzielten, die fast magisch war. Ganz entfernt dachte man sogar an Olivier Messiaen. 

Höhepunkt dieses Konzerts war dann zuletzt das abwechslungsreiche Stück "Was wird hier eigentlich gespielt? Eine Doppelbiographie des 21. Jahrhunderts" von Iris ter Schiphorst für Sänger-Performerin, Stimme, Ensemble, zwei Donnerbleche/Elektronik und Samples auf einen Text von Felicitas Hoppe. Unter der sensiblen Leitung von Delia Ramos Rodriguez (die damit ihre Abschlussprüfung im Master Neue Musik Ensembleleitung bei Christof M Löser präsentierte) konnte sich der eigenartige Zauber dieses Werkes gut entfalten. Das schaurige Märchen vom "eigensinnigen Kind" der Gebrüder Grimm leitete dieses Stück ein. Darin geht es um ein unfolgsames Kind, das seiner Mutter Kummer bereitet und deswegen sterben muss. Das Ärmchen kommt aber immer wieder aus dem Grab heraus. Und auch als die Mutter mit der Rute darauf schlagen muss,  hat der unheimliche Spuk kein Ende. Ein verfremdeter A-Dur-Akkord wurde vom konzentriert agierenden Ensemble unter der Leitung von Delia Ramos Rodriguez eindringlich beschworen. Dieses Werk hat Iris ter Schiphorst in Form einer Barocksuite komponiert. Im Gegensatz zur originalen Suitenform steht die Sarabande hier als letzter Satz vor dem Finale - statt der Gigue. Außerdem ist dem Prolog noch eine Toccata hinzugefügt worden. Den Pop- und Rock-Hintergrund der Komponistin kann man hier deutlich heraushören. Er zeigt sich in differenzierter Dynamik ebenso wie bei Zitaten von "Every breath you take" der englischen New-Wave-Band "The Police". Auch  Kinderlieder wie "O du lieber Augustin" und "Drei Chinesen mit dem Kontrabass" sind in das Werk integriert worden. 

Zuletzt folgt noch ein Ausschnitt aus Ludwig van Bethovens neunter Sinfonie mit "Freude schöner Götterfunken", was dann zu einem totalen elektronischen Absturz führt. Der Zitaten-Reichtum des Werkes ist verblüffend: "Nur: wie klagt man gegen die Götter der Donaueschinger Unterwelt?" In Elektronik und Klangregie von Christopher Opelt folgte daraufhin ein fulminantes Tumultuoso des Ensembles. Pawel Hadaschik (Trompete), Michael Kashevskii (Posaune), SeongYeon Kong (Schlagzeug 1), Anna Fiveiska (Schlagzeug 2), Ayumi Inoue (Klavier & Keyboard), Thilo Ruck (E-Gitarre), Cecilia Seo (Sänger-Performerin) und Viola Sauter (Stimme) machten nicht nur die Zitate aus Monteverdis "L'Orfeo" (Arie "Tu se' morta"), die "Goldberg Variation 25" von Bach, die "Sarabande" von Händel sowie Passagen im Stil von Xenakis, Webern und Lachenmann ("Guero" und "Pression) lebendig. Der ironische Charakter des Stückes wurde bei dieser Wiedergabe auch durch prägnante Flamenco-Assoziationen unterstrichen. 
 

 

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