Paula, ledig, etwas über vierzig, ist verzweifelt: besteht doch bei ihr der Verdacht auf Gehirntumor. Voller Panik versucht sie eine Überdosis Schlaftabletten in einer Arztpraxis zu erpressen. Leider hat sie sich jedoch im Haus geirrt und überfällt eine Bank. Bis zum Tag der endgültigen Diagnose begleiten wir sie auch bei ihrem komisch-verzweifelten Versuch, Bilanz zu ziehen, ihrem Leben einen Sinn abzugewinnen, unerfüllte Wünsche doch noch zu realisieren und ihr Schicksal zu korrigieren.
Paulas vor 30 Jahren an einem Gehirntumor verstorbener Vater, den sie immer noch für ihr verpatztes Leben verantwortlich macht, erscheint ihr und begleitet sie kommentierend auf ihrem Weg. Ihre gefühlskalte Schwester, karrieresüchtig, neureich und mit einem egozentrischen Architekten verheiratet, bringt wenig Verständnis für die unangepasste Paula auf. Paulas Versuche, Beziehungen aufzubauen, Freundschaften zu gründen, scheitern allesamt, ja enden geradezu im Fiasko. Sie verliert ihre Arbeitsstelle als Verkäuferin in einem billigen Bekleidungsgeschäft, weil sie die Kunden beleidigt und eine schwangere Kundin bedrängt. Sie zerstört einer Witwe auf dem Friedhof den Grabschmuck und verfolgt sie bis zur Bushaltestelle. Ihr Versuch mit einer Internetbekanntschaft den lange gehegten Wunsch nach einem Orgasmus zu erfüllen, scheitert an ihrem nie versiegenden Wortschwall. Nähe erhält sie nur im Pflegeheim, indem sie den altersverwirrten Insassen vorspiegelt, dass sie ihre Tochter sei, aber auch da wird sie vom Pfleger hinauskomplimentiert. Bis es beinahe zu spät ist, verschmäht sie die Liebe des biederen Dietmars, dem sie zunächst als Bankangestelltem, dann als Vertretung in einem Bestattungsinstitut begegnet war. In der doch noch stattfindenden Liebesszene werden Szenen einer Ehe stakkatohaft durchdekliniert, von der holdseligen Liebe zu zweit, über die adoptierten Kinder und das zunächst wunderbare Zusammensein bis zum Alltagstrott und zur Untreue und Krise.
Thomas Jonigk, seit Beginn der letzten Spielzeit am Düsseldorfer Schauspielhaus als Hausautor, Dramaturg und Leiter des Autorenlabors engagiert, zeichnet mit "Diesseits" ein Abbild der Beziehungsschwierigkeiten unserer Zeit. Die Frage nach dem Sinn des Lebens kann sein Stück naturgemäß nicht klären und will es sicher auch nicht. Immerhin gelingt es ihm, mit heiterem Schwung die Suche nach dem Glück angesichts des Jenseits zu schildern. Christiane Roßbach als Paula hält großartig die schwierige Balance zwischen Ernst und Komik, ohne ins Alberne abzurutschen, ein heiteres Scheitern. Auch die übrigen Darsteller bleiben nicht klischeehaft an der Typisierung ihrer Figuren hängen. Stephan Rottkamps Inszenierung hat eine Leichtigkeit, die dem Stück angemessen ist. Robert Schweers Bühne mit ihren Klapp- und Drehmechanismen ergänzt die Inszenierung ideal. Ein amüsanter Abend, der den herzlichen Applaus verdient hat.
Inszenierung: Stephan Rottkamp
Bühne: Robert Schweer
Kostüme: Katharina Kromminga
Musik: Cornelius Borgolte
Darsteller(in): Christiane Rossbach, Christoph Müller, Milian Zerzawy, Anna Kubin, Anke Hartwig, Wolfram Rupperti
Uraufführung am 6. Oktober 2007 im Düsseldorfer Schauspielhaus, Kleines Haus