Bei Musäus, dem zu Unrecht vergessenen fünften Weimarer Klassiker neben Goethe, Schiller, Herder und Wieland, gibt es keine bürgerliche Kleinfamilie, keinen bösen Wolf, kein Rotkäppchen, keine Nation. Hier heißt es nicht: „Es war einmal...“. Hier heißt es immer: „Es wäre!“ Die Frage ist, frei nach Musäus und Luhmann: Würde es merken, wenn es gar kein Volk gäbe?
Der Regisseur und Autor Christian Filips hat sich diese Frage gestellt, die Musäus-Märchen gesichtet und Dominique Horwitz, Miriam Horwitz und dem Pianisten Murat Parlak eine furiose Märchen-Revue auf den Leib geschrieben. Jenseits vom üblichen brüderlichen Grimm erzählen und singen seine drei Protagonisten eine völlig analoge Märchenstunde lang Geschichten von einem Volk aus grauer Vorzeit, warnen vor grassierenden Internet-Trollen und der alten deutschen Lust am Untergang. In einer musikalischen Zeitreise zurück in die Zukunft der Weimarer Klassik trifft dabei der sprechende Nationalbär Björn auf die intersexuelle Heinrich, Heines Atta Troll auf Schlingensiefs Attaismus, die Thüringen-Hymne auf deutsche Schlager und Grand-Prix-Gewinnersongs.
Und wozu diese phantastische Expedition in das deutsche Märchenland der Zukunft? Wer in der Lage ist, sich seinen Tod als Märchen zu erzählen, der wird überall etwas Besseres finden. Ein Abend, der befreit vom ewigen deutschen Wiederholungszwang, von den hysterischen Dystopien, vom Weltschmerz und von der um sich greifenden „German Ängst“. Neue Märchen braucht das Land. Ein paar hübschere, ein paar bessere Lügen, um zu leben, denn „die Deutschen erzählten sich Märchen zum Einschlafen und zum Aufwachen, zum Träumen von ihrer eigenen Identität und um von ihrem Träumen erlöst zu werden. Und hätten die Deutschen einander weiterhin Märchen erzählt, dann gäbe es sie noch heute…“
Christian Filips (Regie)
Oliver Helf (szenische Einrichtung)
Marie-Luise Otto (Kostüme)
Julie Paucker (Dramaturgie)
Dominique Horwitz
Murat Parlak
Miriam Horwitz