Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
DIE SUCHE NACH DEM VERLORENEN - "Fundbüro" in der Jungen Oper im Nord (JOiN) in StuttgartDIE SUCHE NACH DEM VERLORENEN - "Fundbüro" in der Jungen Oper im Nord (JOiN)...DIE SUCHE NACH DEM...

DIE SUCHE NACH DEM VERLORENEN - "Fundbüro" in der Jungen Oper im Nord (JOiN) in Stuttgart

am 21.1.2024 (Staatsoper)/STUTTGART

Das Publikum wird hier an einen merkwürdigen Ort geführt, an dem Verlorenes aufbewahrt wird. Der Antrieb der Menschen, etwas Vermisstes zu suchen, steht dabei im Zentrum. In der Regie von Martin Mutschler (von dem auch die Texte stammen) wird eine Utopie vom Glauben daran aufgezeigt, dass das Verlorene wiedergefunden wird. Mit Opernarien, Pop-Balladen und Folk Songs präsentieren die Sängerinnen und Sänger des internationalen Opernstudios hier eine harmonisch vielseitige Suche.

 

Copyright: Matthias Baus

Die einfallsreiche Ausstattung von Thilo Ullrich und Amanda Ziemele entführt die Zuschauer in ein geräumiges Fundbüro, das angeblich schon seit sehr vielen tausend Jahren existiert. Unter der musikalischen Leitung von Ui-Kyung Lee haben die Opernstudio-Mitglieder hier ihre eigene Musik mitgebracht. Als Primavera fungiert Alma Ruoqi Sun (Sopran), als Faktotum Itzeli Jauregui (Mezzosopran), als das Ewige Kind  Joseph Tancredi (Tenor) und als der Ewige Finder Jacobo Ochoa (Bariton). Hinzu kommt noch als Teppichmann Alexander Myrling (Bassbariton). Die Playlist dieses obskuren, aber durchaus sympathischen Fundbüros kann sich sehen und hören lassen.  Von Rafael Alberti und Carlos Guastavino ist "Se equivoco la paloma" ("Getäuscht hat sich die Taube") zu hören - gefolgt von "El pano moruno"  ("Das maurische Tuch") von Manuel de Falla, wo Einflüsse des französischen Impressionismus und von reizvollen Volksrhythmen hervorblitzen.

Nach diesen aufpeitschenden Rhythmen gewinnen "Cancion de las simples cosas" ("Lied von den einfachen Dingen") von Armando Tejada Gomez und Cesar Isella sowie "Hua fei hua" ("Blume, keine Blume") von Huang Zi und Bai Juyi immer stärkere Intensität. Auch die einfühlsam musizierte "Morgenstimmung"  aus der Peer-Gynt-Suite Nr. 1 von Edvard Grieg besitzt hier viele Klangfarben. Das pastorale Thema der glasklaren Atmosphäre des Gebirges strahlt harmonisch hell auf. Die große dynamische Steigerung bleibt nicht aus. Von James Agee und Samuel Barber erklingt "Knoxville: Summer of 1915" op. 24 und von Henrik Ibsen/Edvard Grieg ist "Ich sperrte zu mein Paradies" aus der Serenade op. 23 zu hören.

Die  rhythmisch prägnanten Themen werden subtil ausgeleuchtet. Mit al-fresco-Figurationen überzeugen "Die säuselnden Zephyrwinde" von Antonio Vivaldi.  "Der Doppelgänger" aus dem "Schwanengesang" von Franz Schubert entfaltet aufgrund der raffinierten Verfremdungseffekte eine besondere Dämonie. Auch "Tomaszow" von Julian Tuwim und Zygmunt Konieczny entführt die Zuhörer in neuartige klangliche Gefilde: "Wie wär's, wenn wir, mein Liebster, noch einmal für einen Tag nach Tomaszow fahren würden?" Auch der restliche musikalische Reigen passt sich den szenischen Gegebenheiten an.  "Es war alles schon vorherbestimmt" von Marco Luberti und Riccardo Cocciante sowie "Die Frühlingszeit" von Ralph Vaughan Williams zeigen starke Nähe zum Volkslied. Auch der Walzer Nr. 15 für Klavier von  Johannes Brahms besitzt feurige Glut. "Ist es kalt im Wasser?" mit Cecile Believe und Sophie sowie "Anoche" (Letzte Nacht) von Arca werden von den Mitgliedern des Opernstudios auch szenisch wirkungsvoll umgesetzt.

Wunderbar abgestuft und dynamisch vielschichtig erklingt noch "Come Again" ("Komm wieder") von John Dowland. Zuletzt scheint das "Fundbüro" tatsächlich die Kontrolle über das Geschehen zu verlieren. "Gute Nacht, Fundbüro" lautet die Devise, nachdem der Teppich entrollt wurde. Besondere Erwähnung verdienen noch die begleitenden Musiker Ui-Kyung Lee (Electronics und E-Geige), Shawn Chang (Klavier) sowie Thilo Ruck und Reto Weiche (E-Gitarre). So gewinnt die Atmosphäre des "Fundbüros" hier immer poetischere Züge, nimmt die Zuschauer auf eine ungewöhnliche Reise in verschiedene Klangwelten mit.

Die letzte Viertelstunde im Stück wird kein Wort mehr geredet, nur noch gesungen. Und das "Fundbüro" bleibt Fiktion. Menschliche Emotionen machen sich auch bemerkbar, als ein Dieb Gestohlenes zurückbringt oder wenn sich zwei Frauen intensiv begegnen. Primavera kommt und entwickelt ein wissenschaftliches Interesse am "Fundbüro". Es ist zudem eine verhinderte Liebesgeschichte von zwei Menschen, die nicht die beiden füreinander sind, die sie unter anderen Gesichtspunkten gewesen wären. Eine vorübergehende "Love Story" ist aber nicht ausgeschlossen. Begeisterung und "Bravo"-Rufe für diese "musikalische Expedition" von MEMBRA.
 

 

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 20 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

FURCHT VOR DER FREIHEIT -- Neue Reihe "Studio goes Politics" im Studiotheater STUTTGART

Die Kabarettistin Stephanie Biesolt eröffnete zusammen mit der Schauspielerin Marion Jeiter diese neue Kabarett-Reihe im Studiotheater. Dabei wurde die AfD aufs Korn genommen. Beim "Angriff auf…

Von: ALEXANDER WALTHER

GESPENSTER UND ATEMLOSE SPANNUNG -- "Falsche Schlange" von Alan Ayckbourn im Kronenzentrum/BIETIGHEIM-BISSINGEN

Eine Prodfuktion von Tournee-Theater Thespiskarren - Theater im Rathaus Essen. - In der subtilen Regie von Gerit Kling bekommt dieser Psycho-Thriller rasch scharfe Kontur. Annabel Chester kehrt nach…

Von: ALEXANDER WALTHER

AUCH DIE BILDENDE KUNST IST PRÄSENT -- Ludwigsburger Schlossfestspiele 2025

Die Festspielzeit 2025 wird am Samstag, 31. Mai 2025 mit dem Konzerthausorchester Berlin unter der Leitung von Joana Mallwitz im Forum am Schlosspark eröffnet. Neben Schuberts "Großer C-Dur-Sinfonie"…

Von: ALEXANDER WALTHER

FEINE SCHWINGUNGEN -- "Wege in die Gegenwart" - Gitarrenmusik des 20. und 21. Jahrhunderts im Kammermusiksaal der Musikhochschule STUTTGART

Gitarren-Musikstudenten der Klasse von Tillmann Reinbeck stellten sich im Kammermusiksaal der Musikhochschule vor. Der Abend begann mit "Quatre pieces breves" aus dem Jahre 1933 von Frank Martin. Das…

Von: ALEXANDER WALTHER

PEITSCHENDE RHYTHMEN -- Symphonieorchester unter Juraj Valcuha im Beethovensaal der Liederhalle STUTTGART

Ein sehr russisches Programm präsentierte das glänzend disponierte SWR Symphonieorchester unter der Leitung des slowakischen Dirigenten Juraj Valcuha diesmal in der Liederhalle. Zunächst erklang die…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑