Die einfallsreiche Ausstattung von Thilo Ullrich und Amanda Ziemele entführt die Zuschauer in ein geräumiges Fundbüro, das angeblich schon seit sehr vielen tausend Jahren existiert. Unter der musikalischen Leitung von Ui-Kyung Lee haben die Opernstudio-Mitglieder hier ihre eigene Musik mitgebracht. Als Primavera fungiert Alma Ruoqi Sun (Sopran), als Faktotum Itzeli Jauregui (Mezzosopran), als das Ewige Kind Joseph Tancredi (Tenor) und als der Ewige Finder Jacobo Ochoa (Bariton). Hinzu kommt noch als Teppichmann Alexander Myrling (Bassbariton). Die Playlist dieses obskuren, aber durchaus sympathischen Fundbüros kann sich sehen und hören lassen. Von Rafael Alberti und Carlos Guastavino ist "Se equivoco la paloma" ("Getäuscht hat sich die Taube") zu hören - gefolgt von "El pano moruno" ("Das maurische Tuch") von Manuel de Falla, wo Einflüsse des französischen Impressionismus und von reizvollen Volksrhythmen hervorblitzen.
Nach diesen aufpeitschenden Rhythmen gewinnen "Cancion de las simples cosas" ("Lied von den einfachen Dingen") von Armando Tejada Gomez und Cesar Isella sowie "Hua fei hua" ("Blume, keine Blume") von Huang Zi und Bai Juyi immer stärkere Intensität. Auch die einfühlsam musizierte "Morgenstimmung" aus der Peer-Gynt-Suite Nr. 1 von Edvard Grieg besitzt hier viele Klangfarben. Das pastorale Thema der glasklaren Atmosphäre des Gebirges strahlt harmonisch hell auf. Die große dynamische Steigerung bleibt nicht aus. Von James Agee und Samuel Barber erklingt "Knoxville: Summer of 1915" op. 24 und von Henrik Ibsen/Edvard Grieg ist "Ich sperrte zu mein Paradies" aus der Serenade op. 23 zu hören.
Die rhythmisch prägnanten Themen werden subtil ausgeleuchtet. Mit al-fresco-Figurationen überzeugen "Die säuselnden Zephyrwinde" von Antonio Vivaldi. "Der Doppelgänger" aus dem "Schwanengesang" von Franz Schubert entfaltet aufgrund der raffinierten Verfremdungseffekte eine besondere Dämonie. Auch "Tomaszow" von Julian Tuwim und Zygmunt Konieczny entführt die Zuhörer in neuartige klangliche Gefilde: "Wie wär's, wenn wir, mein Liebster, noch einmal für einen Tag nach Tomaszow fahren würden?" Auch der restliche musikalische Reigen passt sich den szenischen Gegebenheiten an. "Es war alles schon vorherbestimmt" von Marco Luberti und Riccardo Cocciante sowie "Die Frühlingszeit" von Ralph Vaughan Williams zeigen starke Nähe zum Volkslied. Auch der Walzer Nr. 15 für Klavier von Johannes Brahms besitzt feurige Glut. "Ist es kalt im Wasser?" mit Cecile Believe und Sophie sowie "Anoche" (Letzte Nacht) von Arca werden von den Mitgliedern des Opernstudios auch szenisch wirkungsvoll umgesetzt.
Wunderbar abgestuft und dynamisch vielschichtig erklingt noch "Come Again" ("Komm wieder") von John Dowland. Zuletzt scheint das "Fundbüro" tatsächlich die Kontrolle über das Geschehen zu verlieren. "Gute Nacht, Fundbüro" lautet die Devise, nachdem der Teppich entrollt wurde. Besondere Erwähnung verdienen noch die begleitenden Musiker Ui-Kyung Lee (Electronics und E-Geige), Shawn Chang (Klavier) sowie Thilo Ruck und Reto Weiche (E-Gitarre). So gewinnt die Atmosphäre des "Fundbüros" hier immer poetischere Züge, nimmt die Zuschauer auf eine ungewöhnliche Reise in verschiedene Klangwelten mit.
Die letzte Viertelstunde im Stück wird kein Wort mehr geredet, nur noch gesungen. Und das "Fundbüro" bleibt Fiktion. Menschliche Emotionen machen sich auch bemerkbar, als ein Dieb Gestohlenes zurückbringt oder wenn sich zwei Frauen intensiv begegnen. Primavera kommt und entwickelt ein wissenschaftliches Interesse am "Fundbüro". Es ist zudem eine verhinderte Liebesgeschichte von zwei Menschen, die nicht die beiden füreinander sind, die sie unter anderen Gesichtspunkten gewesen wären. Eine vorübergehende "Love Story" ist aber nicht ausgeschlossen. Begeisterung und "Bravo"-Rufe für diese "musikalische Expedition" von MEMBRA.