Ihr Fall kulminiert in Schreckensvisionen einer Jahrhunderte überspannenden Verrohung des Menschen, in das apokalyptische Bild einer endlosen Spirale sich wiederholender Zwänge und der Gewalttätigkeit des Menschen.
„Gestern, heute und morgen“ definierte Bernd Alois Zimmermann die Handlungszeit seiner 1965 in Köln uraufgeführten Oper nach dem Drama des Sturm und Drang-Dichters Jakob Michael Reinhold Lenz. Schon Lenz war der Theaterästhetik seiner Zeit weit voraus und propagierte in seinen theoretischen Schriften die Auflösung der Einheit von Zeit, Ort und Handlung. Zimmermann schuf ein multimediales Musiktheater, bei dem sich durch das Neben- und Miteinander von riesigem Orchester, Bühnenmusik, Jazz-Combo, Elektronik, Tonband und Lautsprechern und durch die Mittel von Filmprojektion und Simultanbühne Handlungsebenen überlagern und Einzelschicksale sich in einem größeren Panorama der Zerstörung, von Vergewaltigung, Selbstmord und Mord spiegeln.
Kirill Petrenko wird in seiner dritten Premiere als Generalmusikdirektor mit Die Soldaten „eine der komplexesten Partituren des 20. Jahrhunderts“ (Petrenko) dirigieren. Bernd Alois Zimmermanns in Zwölftontechnik komponierte Oper nach der gleichnamigen „Komödie“ von Jakob Michael Reinhard Lenz (von 1776) wurde 1965 an der Oper Köln uraufgeführt und stellt seitdem jedes Haus vor logistische und ästhetische Herausforderungen, sei es durch die große Orchesterbesetzung inklusive zusätzlicher Jazzband, die in der Partitur eingearbeiteten Klänge und Geräusche aus dem Lautsprecher oder die simultan stattfindenden Szenen - Zimmermann selbst forderte nichts weniger als ein Theater, das „nicht schlechter ausgerüstet sein sollte als ein Weltraumschiff“. Dennoch stand das Werk bereits 1969, als dritte Inszenierung der Oper überhaupt, auf dem Spielplan der Bayerischen Staatsoper in der Regie von Václav Kaslik und der Choreographie von John Cranko. Die musikalische Leitung hatte Uraufführungsdirigent Michael Gielen inne, der die Oper in eine Reihe mit Wozzeck, Lulu und Moses und Aron stellte: „Über diese vier hinaus weiß ich bis heute kein weiteres Jahrhundertwerk des Musiktheaters von solcher Kraft und diesem Impakt.“
Über 40 Jahre später wird in der Inszenierung von Andreas Kriegenburg (Der Ring des Nibelungen, Wozzeck) die kanadische Sopranistin Barbara Hannigan (Hausdebüt bei den Festspielen 2013 in Written on Skin) ihr Rollendebüt als Marie geben. Michael Nagy (Stolzius) verkörpert den Verlobten der Marie und Daniel Brenna (Desportes, anstelle des geplanten Endrik Wottrich) den adligen Soldaten, der sie ins Verderben treibt.
Bernd Alois Zimmermann hat sich selbst als „den ältesten der jungen Komponistengeneration“ bezeichnet. Geboren 1918 in der Eifel, gehörte er zu den doppelt geschädigten Jahrgängen, denen erst durch die ästhetische Blickverengung der nationalsozialistischen Herrschaft und dann durch den Krieg in ihren Entfaltungsmöglichkeiten enorm beschränkt waren. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, spielte er Tanzmusik und Jazz, fertigte Arrangements für Unterhaltungsensembles an, schrieb Liedsätze, Hörspielmusiken und Musiken für Theater und Film. Durch seine immense stilistische Vielseitigkeit und seine Erfahrung im Ausprobieren klanglicher Wirkungen war Zimmermann wie kaum einer sonst dazu in der Lage, eine Musiktheaterpartitur zu schaffen, die seinem Ideal dieser Kunstform entsprach: Nämlich „Oper als totales Theater!“
Seine Musik enthält Zitate und Allusionen aus vielen Epochen; da gibt es eine gregorianische Melodie, einen Bach-Choral, romantisches Schwelgen, Jazz und Elektronik, sogar eine Assoziation des Rosenkavalier-Schlussterzetts ist dabei: eine bis ins Extrem getriebene Collagetechnik. Allein die Auflistung der Instrumente umfasst eine volle Seite des großformatigen Klavierauszugs – darunter sind drei „Bühnenmusiken“ genannte Schlagzeuggruppen, eine „Jazz-Combo“ auf der Szene, Klavier, Cembalo, Celesta, zwei Harfen, zwei Orgeln, Gitarre und natürlich eine riesenhafte Streicher- und Bläserbesetzung. Doch damit nicht genug: Die Soldaten nutzen Mobiliar und Kaffeeservice zum Trommeln, sie steppen nach Partitur und wechseln vom Singen zum Sprechen, weitere Schauspieler und Tänzer bereichern das Personal, vom Tonband kommen – minutiös bezeichnet und auf zehn Lautsprechergruppen im ganzen Saal verteilt – zusätzliche Stimmen und Geräusche sowie elektronische Klänge.
Das alles sind schwierige Aufgaben. Aber das Schwerste liegt anderswo, so Zimmermann: „Von Sängern und nicht zuletzt vom Dirigenten wird das Äußerste verlangt werden müssen.“ Kirill Petrenko fasst zusammen: „Zimmermanns Die Soldaten stellen ein Wagnis dar, das mich und alle Beteiligten besonders auch auf der handwerklichen Ebene fordern wird. Es ist sicherlich eine der komplexesten Partituren des 20. Jahrhunderts, in deren stilistischer Vielfalt – die Anklänge reichen von Bach bis zum Jazz – alles zu einem Plädoyer für Humanität und Frieden verschmilzt.“
Libretto vom Komponisten nach dem gleichnamigen Drama von Jakob Michael Reinhold Lenz
Musikalische Leitung Kirill Petrenko
Inszenierung Andreas Kriegenburg
Bühne Harald B. Thor
Kostüme Andrea Schraad
Licht Stefan Bolliger
Klangregie Wolfram Nehls
Choreographie Zenta Haerter
Kostüm Assistentin Sophie Leypold
Bühnenbild Assitenz Thomas Bruner
Produktionsdramaturgie Malte Krasting
Wesener Christoph Stephinger
Marie Barbara Hannigan
Charlotte Okka von der Damerau
Wesners alte Mutter Hanna Schwarz
Stolzius Michael Nagy
Stolzius´ Mutter Heike Grötzinger
Obrist Tareq Nazmi
Desportes Daniel Brenna
Pirzel Kevin Conners
Ein junger Jäger / 2. Fähnrich Steve Pucker
Eisenhardt Christian Rieger
Haudy Tim Kuypers
Mary Wolfgang Newerla
1. Offizier Peter Tantsits
3. Offizier Dean Power
Die Gräfin de la Roche Nicola Beller Carbone
2. Offizier David Sitka
Der junge Graf Alexander Kaimbacher
Der Bediente Johannes Terne
Der junge Fähnrich Matthias Bein
Andalusierin Makoto Sakurai
Der betrunkene Offizier Manuel Adt
1. Hauptmann Eric Price
1. Fähnrich Daryl Jackson
2. Hauptmann Frederic Jost
3. Fähnrich Christian Prager
3. Hauptmann Niklas Mallmann
Madame Roux Karin Kreitner
Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper
Sonntag, 25. Mai 2014, 19.00 Uhr *
Mittwoch, 28. Mai 2014, 19.00 Uhr
Samstag, 31. Mai 2014, 19.00 Uhr **
Mittwoch, 4. Juni 2014, 19.30 Uhr
Freitag, 6. Juni 2014, 19.00 Uhr
Nationaltheater
* live im Radio auf BR-Klassik
** live auf STAATSOPER.TV