Parallel zu seiner Übersetzung von »Hamlet« für eine Inszenierung von Benno Besson am Deutschen Theater schrieb er diesen fremdartigen und rätselhaften Text. Er nimmt Figuren und Schlüsselszenen aus Shakespeares Stück auf, verzichtet aber beinahe ganz auf Handlung und Dialog. In einem alptraumartigen Szenarium in fünf auch formal unterschiedlichen Textfragmenten erscheinen u. a. Hamlet bzw. ein Schauspieler, der Hamlet spielt, und Ophelia als gespenstische Widergänger realer historischer Personen. Unterschiedliche und gegensätzliche kollektive Erfahrungen prallen aufeinander, viele Bezüge zu Ereignissen der europäischen Geschichte und der Geschichte des Kommunismus nach dem 2. Weltkrieg stellen sich her. An der Figur des Hamlet interessierte Müller »das Versagen von Intellektuellen in bestimmten historischen Phasen, das vielleicht notwendige Versagen von Intellektuellen, ein stellvertretendes Versagen«. Die innere Zerrissenheit des Hamletdarstellers, der sich bei dem Aufstand in Budapest 1956 »auf beiden Seiten der Fronten, zwischen den Fronten, darüber« sieht, mündet im Scheitern des Autors beim Schreiben eines Shakespeareschen Dramas und in dem Versuch der Revolte von Ophelia. Die Frontlinie verläuft nicht mehr zwischen Ost und West, sondern zwischen »den Metropolen der Welt« und den kolonialisierten Ländern. Dimiter Gotscheff, der sich nach »Germania. Stücke« und Müllers Übersetzung von »Die Perser« zum dritten Mal am DT einen Text von Heiner Müller vornimmt, wird auch selbst auf der Bühne zu sehen sein.
Regie Dimiter Gotscheff
Bühne/Kostüme Mark Lammert
Dramaturgie Bettina Schültke
mit
Valery Tscheplanowa; Dimiter Gotscheff und Alexander Khuon