Die Tobis-Film-Klang-Gesellschaft plante ein Projekt über den legendären Berliner Droschkenkutscher Gustav Hartmann, der zehn Jahre zuvor mit seiner Kutsche von Berlin nach Paris und zurück gereist war, immenses mediales Interesse erzeugt hatte und zum Symbol der deutsch-französischen Versöhnung wurde. Emil Jannings sollte die Hauptrolle spielen, und er war es auch, der Fallada als Autor ins Gespräch brachte. Verfilmt wurde der Roman schließlich erst in den siebziger Jahren – die Nazis hatten das Projekt gestoppt, da Falladas Werk ihnen nicht konform genug erschien.
Packend und anrührend beschreibt Hans Fallada die Tragödie eines Mannes, über den die Ereignisse nur so hinwegrollen. Bei den Pasewalker Kürassieren hat Gustav Hackendahl gelernt, was preußischer Drill ist, und Kaiser Wilhelm ist sein großes Vorbild. Nun ist er Besitzer eines florierenden Droschkenfuhrhofs und Vater von fünf Kindern, und alles um ihn herum hat zu parieren wie er selbst es tat, damals auf dem Kasernenhof. Als aber der Krieg kommt und mit ihm Armut und Hunger, als die Kinder ihrer Wege gehen wollen, als sein ganzes Weltbild zusammenbricht, da gibt es keinen Kaiser mehr, der Gustav helfen könnte. Also hilft er sich selbst und begibt sich auf die spektakuläre Reise nach Paris.
Am langsamen Abstieg des Gustav Hackendahl vom reichen Fuhrhofbesitzer zum armen Droschkenkutscher, vom stolzen Vater zum einsamen alten Mann erzählt sich die Geschichte einer ganzen Generation im Wandel der Zeit. Aber es ist auch die Tragödie seiner Kinder, die nie zu einem wahren, selbstbewußten Ich finden konnten und allzu anfällig sind für neue Abhängigkeiten. Fallada selbst erlebt in seiner Kindheit die erdrückende Strenge der preußisch-wilhelminischen Gesellschaft, und ähnlich wie die Kinder des Gustav Hackendahl ist er zerrissen, psychisch labil und den immensen gesellschaftlichen Veränderungen, die die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts prägen, mehr oder weniger hilflos ausgeliefert. Und doch gibt es eine starke Vitalität in Fallada, einen Optimismus, den er auch seinen Figuren schenkt. Er ist der Dichter der kleinen Leute, ihre Geschichten erzählt er mit äußerster Empathie und, glücklicherweise, einer großen Portion Humor. Noch (oder gerade) in der größten Not entwickeln sie Mut und Widerstandskraft.
Die Adaption von Fallada-Romanen für das Theater hat Tradition. Die Plastizität seiner Figuren, die Zuspitzung der Konflikte, die dichte Beschreibung von Atmosphären gibt seinen Texten von vornherein einen dramatischen Zug. Wenn auch seine Geschichten stark in Zeiten und Milieus verhaftet sind, weisen sie in ihren Grundfragen weit darüber hinaus. Gustav Hackendahl ist ein Mensch, der durch Krisen geht und Überlebensstrategien entwickelt, der fehlgeht im Bemühen um eine gute Erziehung seiner Kinder, der das bewahren möchte, was ihm wertvoll und richtig erscheint. Was ihn bewegt, bewegt uns heute auch. Und so gehen wir auf Spurensuche in eine bewegte Epoche der deutschen Geschichte und schauen nach, was vom Vermächtnis unserer Großväter und Urgroßväter in uns modernen Menschen weiterlebt.
Textfassung von Barbara Wendland
Inszenierung Tilman Gersch
Bühne und Kostüme Miriam Grimm
Musik Frank Rosenberger
Dramaturgie Barbara Wendland
Mit: Rainer Kühn (Gustav), Monika Kroll (Mutter), Michael von Bennigsen (Otto), Michael Birnbaum (Erich), Nils Kreutinger (Heinz/Gustäving), Sybille Weiser (Eva), Franziska Beyer (Sophie), Stefan Schießleder (Eugen/Abgeordneter), Viola Pobitschka (Tutti/Tinette), Magdalena Höfner (Irma)
Weitere Vorstellung:
Do 26.1., 19.30 Uhr, Kleines Haus