Es heißt, dass diese Welt gescheitert sei, weil niemand in ihr „gut“ bleiben könne. Ein Fehler in der Matrix? In der Prostituierten Shen Te treffen die Götter auf den scheinbar letzten guten Menschen. Doch ein Geldgeschenk, das sie ihr für eine eigentlich kostenlose Unterkunft geben, zwingt nun auch diese schöne Altruistin, ab sofort wirtschaftlicher zu denken. Shen Te investiert das Geld in ein neues Leben. Sie ist jetzt Besitzerin eines kleinen Tabakladens und würde doch am liebsten nur verschenken. Ungute Menschen geben sich die Ladenklinke in die Hand und nutzen Shen Te aus. Nicht einmal die wahre Liebe scheint für sie kostenlos – Geld wird geheiratet....
Damit es die neue Kleinunternehmerin mit der alten Seele nicht im Innersten zerreißt, legt sie sich ein Alter Ego zu und verwandelt sich in ihren imaginären Vetter Shui Ta, der als lupenreiner Kapitalist ihr Unternehmen rücksichtslos ausbaut. Er ist das andere Ich – ein Abbild täglicher Schizophrenie in der „sozialen“ Marktwirtschaft.
Als Brecht seine berühmte Parabel, angesiedelt in einem fiktionalen China, schrieb, war die Gelbe Gefahr des 19. Jahrhunderts fast vergessen, das kommunistische Rot noch nicht in Sicht. An den hybriden chinesischen Staatskörper des 21. Jahrhunderts war noch nicht einmal zu denken. Heute, vor dem Hintergrund des fernöstlichen Turbokapitalismus gelesen, offenbart sich im SEZUAN Brechts Frage nach dem Verhältnis von Markt und Moral als aktueller denn je. Sein fiktives China scheint Realität geworden zu sein.
Anja Nioduschewski
Musik von Paul Dessau
mit Kathrin Angerer, Friederike Bernhardt, Maximilian Brauer, Artemis Chalkidou, Matthias Hummitzsch, Janine Kreß, Guido Lambrecht, Linda Pöppel, Peter René Lüdicke, Max Renne, Barbara Trommer, Birgit Unterweger
Regie: Sebastian Baumgarten
Bühne: Thilo Reuther
Kostüme: Ellen Hofmann
Video: Marc Stephan
Musik: Jörg Follert, Max Renne
Dramaturgie: Anja Nioduschewski