Da plant Dr. Bartolo, ein altes, habgieriges Junggesellen-Fossil, sein Mündel Rosina wegen ihres Vermögens zu heiraten. Aus der durchaus begründeten Angst vor möglichen Gegenkandidaten und damit niemand zu ihr gelangen kann, hält er sie in seinem Haus wie eine Gefangene und hütete sie wie ein Wagner-Drache seinen Goldschatz. Dann gibt es den mit einem goldenen Löffel im Mund geborenen Grafen Almaviva, der sich seiner angebeteten Rosina nur inkognito nähern kann, weil er nicht wegen seines Adels, sondern wegen seiner schönen Augen geliebt werden will. Und schließlich ist da noch der schlitzohrige Marketing-Fachmann von Sevilla, ein „Junge“ für alles, sprich: der mit allerlei werbekräftigen Zaubermitteln handelnde Figaro, die treibende Kraft der sich turbulent entwickelnden Geschichte.
Gott sei Dank besitzt der Graf ein stattliches Vermögen, das es ihm erlaubt, wann auch immer eine Situation brenzlig zu werden droht, mit wohldosierten Geldzuwendungen alle möglichen Störenfriede auf seine Seite zu ziehen. Schlussendlich sorgt eine Spende dafür, dass der Notar nicht Dr. Bartolo, sondern den Grafen mit Rosina verheiratet. Der zu spät eintreffende habgierige Alte aber erhält eine „Abwrackprämie“ – in Form von Rosinas Mitgift. „Unter diesen Umständen hätte Dr. Bartolo freilich auch schon früher der Ehe zugestimmt, aber die Oper ist trotzdem lehrreich, weil sie dem Publikum klarmacht, dass ohne Spenden nichts läuft.“ (Wolfgang Körner)
In Rossinis „Barbier“ (uraufgeführt am 20. Februar 1816 im Teatro Argentina, Rom) sind nahezu alle Beteiligten von der belebenden Wirkung des Geldes infiziert. Der „heitere Skeptiker“, wie Richard Wagner ihn später nannte, spürte die Kunstfeindlichkeit des heraufziehenden 19. Jahrhunderts mit Industrialisierung und Massenproduktion. Als Obsession steht daher das Gespenst der Automatisierung, frühe Fließbandphantasien und Entmündigung hinter seinem Werk. Seine bis zur Absurdität gesteigerte „mechanische“ Musik übersetzt dabei die automatisierte Triebhaftigkeit des Menschen. Die beispiellose Popularität des „Barbier“ zeichnet ihn noch immer unangefochten als den „ältesten Bestseller des Musiktheaters“ (Ulrich Schreiber) aus.
Komische Oper in zwei Akten von Gioacchino Rossini – Text von Cesare Sterbini, nach dem Schauspiel „Barbier de Séville ou La Précaution inutile (1722) von Pierre August Caron de Beaumarchais - in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Musikalische Leitung: Justin Brown | Inszenierung: Dominique Mentha | Bühne: Christian Floeren | Kostüme: Susanne Hubrich | Chor: Hendrik Haas | Choreografische Betreuung: Juliannna Sarri
Mit: Otokar Klein / Jung-Heyk Cho (Graf Almaviva), Ks. Tero Hannula / Ks. E. Gauntt (Bartolo), Ina Schlingensiepen / Diana Tomsche (Rosina), Tamara Gura (Rosina, Mezzo-Fassung), Armin Kolarczyk / Christian Miedl (Figaro), Lukas Schmid / Ks. Konstantin Gorny / Luiz Molz (Basilio), Anna Maria Dur / Sabrina Kögel / Sigrun Maria Bornträger (Berta), Natalia Melnik / Daniela Köhler (Berta, Mezzo-Fassung), Mehmet Utku Kuzuluk (Fiorillo), Gideon Poppe (Ambrosio)
Weitere Vorstellung: 23.7.2009