
Die stilistische Richtung ist hier aber ganz anders als bei Paganini. Eine schwierige Akkordtechnik kennzeichnet die Etüde 1, die dem böhmischen Geiger und Komponisten Ferdinand Laub gewidmet ist. Dieses "Rondino scherzo" verlangt einen leichten und humorvollen Vortrag, dem Brilinsky gut gerecht wird. Einen reizvollen dynamischen Kontrast bildet hierzu eine gesangliche Melodie, die im Mittelteil auftritt. Die Etüde 2 hat Heinrich Wilhelm Ernst Prosper Philippe Catherine Sainton gewidmet, der als französischer Geiger in London lebte. Das französisch anmutende Thema wird von sanften arpeggierten Akkorden begleitet. Die Akkordketten überraschen dann im Mittelteil in enger Lage. Die Bassstimme wird von der linken Hand gezupft. Die Etüde 3 hat für Ernst Joseph Joachim geschrieben, der von Felix Mendelssohn Bartholdy gefördert wurde. Das mehrstimmige Terzett besitzt auch intensive lyrische Linien, die Maxim Brilinsky mit großer Intensität auskostet. Die Möglichkeiten der subtilen Bogenführung und der Grifftechnik werden souverän beherrscht.
Hector Berlioz lobte Henri Vieuxtemps, dem Ernst eine äusserst virtuose Etüde gewidmet hat, die Brilinsky mit elektrisierender Energie erfüllt. Geläufigkeit und extreme Streckungen wecken tatsächlich Assoziationen zu Paganini. Die Widmung für Etüde 5 trägt den Namen von Josef Hellmesberger, wobei das "Air de Ballet" die Eleganz der Wiener Klangkultur besitzt. Komplexe Akkordtechnik gesellt sich hinzu - und ein ausgelassener Tanzcharakter kann sich überzeugend behaupten. Bei der für Antonio Bazzini geschriebenen Etüde 6 "Die letzte Rose" triumphieren gewaltige technische Anforderungen.
Ein Höhepunkt auf dieser CD ist dann die "Grand Caprice" op. 26 über Franz Schuberts "Erlkönig" von Heinrich Wilhelm Ernst. In weniger als fünf Minuten schlüpft die Violine in vier verschiedene Rollen - nämlich als Erzähler, Erlkönig, Vater und Kind. Verschiedene Spieltechniken werden von Maxim Brilinsky sehr gut herausgearbeitet. Auch bei den beiden Werken "L'ecole Moderne" op. 10 sowie bei der leidenschaftlich gespielten, märchenhaften "Legende" von Henri Wieniawski ist Maxim Brilinsky voll in seinem Element. Auf dieser Aufnahme findet eine Reduktion für zwei Violinen statt, ansonsten ist dieses Werk in der Fassung für Violine und Klavier zu hören. "Das vorliegende Arrangement, welches ich zum gemeinsamen Musizieren mit meinen Töchtern verfasst habe, möchte ich meiner Frau widmen", so Brilinsky.
In den Miniaturen zu "L'ecole Moderne" findet man sogar ein Pendant zu Paganinis "Nel cor piu non mi sento" ("Thema und Variationen auf die Österreichische Kaiserhymne"). Linke-Hand-Pizzicati und schnelle Läufe sowie Arpeggien mit Flageoletten betören den Hörer. Es gibt auf dieser ungewöhnlichen CD tatsächlich viel Unbekanntes zu entdecken!