Schuberts Walzer in einer Einspielung mit Violine und Gitarre regten Martin Schläpfer zu seiner "Pezzi und Tänze" betitelten Choreographie an, die jetzt den Auftakt zu seinem fünften Ballettabend in der Deutschen Oper am Rhein bildet. Diese Walzer werden in Kontrast zu den 1956 entstandenen Tre Pezzi für Saxophon von Giacinto Scelsi gesetzt. Die Variationen des Dreiertaktes nimmt Schläpfer auf, um kleine Geschichten über das gemeinsame Leben eines Mannes und einer Frau mit bezaubernder Leichtigkeit und überaus poetisch zu erzählen.
Als Uraufführung folgte das von Teresa Rotemberg choreographierte Stück "Irreversibel". Musikalische Grundlage bilden die Klavierwerke von John Cage und Improvisationen von Herbert Henck über Cages Sonaten und Interludien. In den Fächern eines großen Regals sind die Tänzer eingeklemmt. Die Bewegungsmöglichkeiten sind begrenzt. Je nach Größe der einzelnen Waben haben die Tänzer unterschiedliche Entfaltungsmöglichkeiten. Assoziationen zu Kokons bieten sich an. Obwohl vereinzelt in den Kästen eingesperrt, gelingt es den Wesen, sich in Beziehung zueinander zu setzen. Die Bewegungen werden heftiger, so dass schließlich das ganze Regal gemeinschaftlich zum Kippen gebracht wird und die Individuen sich aus ihrem Gefängnis befreien. Einige scheinen ihre Freiheit zu genießen und entfalten sich in neuen vielfältigen Bewegungsmustern, während andere starr bleiben, sich vielleicht auch in ihre Ausgangsposition zurücksehnen. Aber der Prozess ist unumkehrbar. Teresa Rotemberg zeigt in ausdrucksstarken, beeindruckenden Bildern symbolhaft psychische Entwicklungsprozesse, die mit einer neu gewonnen Freiheit verbundenen Möglichkeiten, ebenso wie das Zögern aus Angst vor dieser Freiheit, vor dem Neuen und Unbekannten. Eine grandiose, überzeugende Arbeit!
Nach diesen eindrucksvollen Bildern gab es als stilistisches Kontrastprogramm das mehr am klassischen Tanzstil orientierte "Ramifications" von Martin Schläpfer, ein Solostück nach der gleichnamigen Musik von György Ligeti. In messingfarbenem Tutu lotet Marlúca do Anmaral die Parodoxie zwischen Raum und Bewegung aus, geht der Frage nach, wie sich Musik und Bewegung im Raum zueinander verhalten. Ein Solo von höchsten technischen Anforderungen, das do Anmaral perfekt und äußerst geschmeidig darzubringen wusste. Ein kurzes, fesselndes Stück, brillant dargebracht.
Den Abschluss des Abends bildete "3", ein von Martin Schläpfer kreiertes Tanzstück nach der Musik von Paul Pavey. Der Musiker saß auch selbst im Zentrum der Bühne und spielte die von ihm komponierte Musik live auf dem Violoncello. Den Bühnenhintergrund nimmt ein großes, raumhohes Blumenbild ein, große Holzobjekte sind abgestellt, an den Seitenwänden Wandreliefs mit Plastikblumen. Ist es ein Lagerraum oder ein geträumter Ort? In verschiedenen Dreierkonstellation treten die Tänzer, in raffinieren Schnürkostümen gekleidet, zueinander in Beziehung, zeigen unterschiedliche emotionale Stimmungen. Einzelne Tanzfragmente erinnern an Elemente des Flamenco und Tango. "3" ist ohne Übergänge choreographiert und wird durch eine Lichtregie unterstützt, die den Raum mitunter nur erahnen lässt. Bewusst hat Martin Schläpfer diese fragmentarische Form gewählt, wobei er das Fragment als Projekt sieht, als etwas von der Welt Abgesondertes, als Kürzel des Zukünftigen. "3" ist ein emotionales, zugleich kraftvolles Stück.
Es ist beeindruckend mit welcher technischen Perfektion die Düsseldorfer Ballettkompagnie diese doch sehr unterschiedlichen Stücke darbot. Schläpfer gelang es auch mit diesem Ballettabend wieder, Bilder zu erzeugen, die noch lange haften bleiben. Am Schluss gab es daher euphorischen, langanhaltenden Applaus für diesen brillanten Tanzabend.
Pezzi und Tänze
Musik: Tre Pezzi für Sopransaxophon von Giacinto Scelsi
15 Walzer für Violine und Gitarre arrangiert aus den 36 Originaltänzen op. 9 D 365 von Franz Schubert
Choreographie: Martin Schläpfer
Kostüme: Marie-Thérèse Jossen
PEZZO 1:Camille Andriot, Remus Sucheana, Anne Marchand, Nicole Morel, Alexandre Simões
PEZZO 2:Antoine Jully
PEZZO 3:Camille Andriot,Carolina Francisco Sorg,Remus Sucheana,Pontus Sundset
TÄNZE: Yuko Kato,Jörg Wiewohl
Irreversibel (Uraufführung) von Teresa Rotemberg
Musik: Sonata II, III, V und XIII für präpariertes Klavier von John Cage sowie Solo I, Duo I und Duo II aus den „Festeburger Fantasien“ für präpariertes Klavier von Herbert Henck
Choreographie: Teresa Rotemberg
Bühne und Kostüme: Benita Roth
Tänzerinnen: Camille Andriot, Doris Becker, Mariana Dias, Carolina Francisco Sorg, Ainara García Navarro, Carrie Johnson, Carly Morgan, Daniela Svoboda,Louisa Rachedi
Tänzer: Florent Cheymol,Helge Freiberg, Antoine Jully, Sonny Locsin, Bogdan Nicula, Sascha Pieper, Martin Schirbel, Alexandre Simões, Remus Sucheana, Pontus Sundset, Maksat Sydykov
Ramifications von Martin Schläpfer
Musik: Ramifications“ von György Ligeti
Choreographie: Martin Schläpfer
Kostüme: Thomas Ziegler
Tänzerin: Marlúcia do Amaral
3 von Martin Schläpfer
Musik: Paul Pavey
Choreographie: Martin Schläpfer
Bühne: Thomas Ziegler
Kostüme: Catherine Voeffray
Cello, Voice, Electronics: Paul Pavey
Tänzerinnen: Sachika Abe, Marlúcia do Amaral, Camille Andriot, Mariana Dias, Géraldine Dunkel, Carolina Francisco Sorg, Yuko Kato, Anne Marchand, Nicole Morel, Julie Thirault
Tänzer: Callum Hastie, Antoine Jully,Bogdan Nicula,Ordep Rodriguez Chacon, Alexandre Simões, Remus Sucheana, Pontus Sundset, Maksat Sydykov, Jörg Weinöhl