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AM SCHLUSS STRAHLT DIE SONNE - "Siegfried" von Richard Wagner in der Staatsoper/STUTTGART

am 8.4.2023

Copyright: Martin Sigmund

Für den Philosophen Ludwig Feuerbach ist die menschliche Liebe stärker als die Götter und die Religion. Das ist ein Aspekt, den Jossi Wieler und Sergio Morabito in ihrer Inszenierung von Richard Wagners "Siegfried" im letzten Akt sehr stark herausstellen. Wenn Siegfried Brünnhilde in einem prunkvollen Wohnzimmer im Stil einer Jugendstilvilla aus tiefem Schlaf erweckt, dann hat diese Inszenierung eine neue Bewusstseinsstufe erreicht.

Ansonsten arbeitet das Team Wieler/Morabito zusammen mit der Bühnen- und Kostümbildnerin Anna Viebrock gegen den Zeitgeist. Das zeigt schon die zerklüftete Raumkonstellation im ersten Akt, wo Siegfried mit seinem Ziehvater Mime um die bessere Weltsicht streitet. Die visuelle Einheit splittert sich dann in vier Räume auf und es wird sehr viel mit Tiefenpsychologie gearbeitet.

Die Logik der verbrannten Erde dominiert vor allem im düsteren zweiten Akt, wenn Alberich seinen Fluch in weiteren Schritten konsequent umsetzt.  Fafner ist hier kein Drache, sondern ein Mensch, den Siegfried mit dem Schwert ersticht. Gleichzeitig sieht man einen großen Stachelzaun, den man nicht überschreiten darf, weil sonst Lebensgefahr besteht. Dabei denkt man zuweilen sogar an DDR-Zeiten. Natürlich vermisst man manchmal den Bezug zur Natur, wie das Rosalie in ihrer "Siegfried"-Inszenierung getan hat. Aber es gelingt Jossi Wieler und Sergio Morabito in jedem Fall, neue Sichtweisen zu präsentieren.

Mime sitzt nach seiner Ermordnung durch Siegfried in Fafners Stuhl. Und auch an anderer Stelle gibt es ungewöhnliche Deutungen. Dies gilt insbesondere für die tiefsinnige Begegnung zwischen Erde und dem Wanderer im dritten Aufzug. Sie ist die Mutter seiner Tochter Brünnhilde und verweist ihn auf die unbewältigte Vergangenheit und Schuld. Damit will sich der Wanderer natürlich nicht abfinden. Als gekränkter Gott Wotan umklammert er Erda, möchte sie nicht wieder loslassen. Und dass Erda ihn Lügen straft, verzeiht er ihr nicht. Diese Szene gelingt dem Regieteam hier besonders spannend und plausibel.

Die innere Konstruktion steht bei dieser durchaus vielschichtigen Inszenierung immer wieder im Mittelpunkt. Die burleske Komödie wird hier ebenso sichtbar wie die Todesverachtung und die Anziehungskraft des Abgrunds. Diese Blockade wird im letzten, leuchtend hellen Akt bei der Begegnung zwischen Brünnhilde und Siegfried  deutlich durchbrochen. Da geben Jossi Wieler und Sergio Morabito dem Werk nämlich seine sonnigen Momente zurück.

Musikalisch ist dieser "Siegfried" wieder eine Sternstunde für das Staatsorchester Stuttgart und die Sänger unter der einfühlsamen Leitung von Cornelius Meister. Das markante Grübel-Motiv mit der fallenden Septime sticht gleich zu Beginn in Mimes Höhle besonders hervor. Und auch der Rhythmus des Schmiedens verbindet sich rasant mit dem Hort-Motiv. Matthias Klink arbeitet als Mime dessen Dilemma brillant heraus. Schwert und Wurm-Motiv erhalten hier deutlich etwas Drohend-Unheimliches. Und die strahlkräftige Stimme von Stefan Vinke als Siegfried bietet zu den Bass- und Kontrabasstuben einen facettenreichen Kontrast. Hervorragend ist auch Thomas J. Mayer als Wanderer, der Wotans Tragödie mit robustem Timbre andeutet.

Im zweiten Akt triumphiert dann das Unruhe-Motiv bei der gewaltigen Auseinandersetzung zwischen dem Wanderer und Alberich, dem Alexandre Duhamel durchaus voluminöse Fülle verleiht, obwohl seinem Bass die Rabenschwärze fehlt: "In Wald und Nacht vor Neidhöhl' halt ich Wacht!" Cornelius Meister gibt den Sängern mit dem Staatsorchester Stuttgart immer wieder genügend Freiraum. Neben der zu höchstem tragischen Pathos gesteigerten Tonsprache im dritten Akt kommen die Spuren von Humor nicht nur in der Auseinandersetzung zwischen Alberich und Mime nie zu kurz. Das rhythmisch scharf akzentuierte Rezitativ bleibt stark im Gedächtnis. Und auch die geballte motivische Intensität zeigt über weite Strecken viele Vorzüge.

Man hat dabei den Eindruck, dass sich das Staatsorchester Stuttgart nach den letzten Aufführungen noch gesteigert hat. Die monumentalen Intervalle Fafners zwischen den Tönen g und cis erreichen hier eine wirklich bedrohliche klangliche Kraft und Magie. Und auch beim berühmten "Waldweben" spielen die Streicher noch durchsichtiger und sphärenhafter, wobei hier eine weitere Steigerung möglich wäre. Der hymnisch-ekstatische Schwung erreicht dann am Schluss  bei der glutvoll gestalteten Begegnung zwischen Brünnhilde und Siegfried ihren Höhepunkt. Simone Schneider beschwört die hohe Lage in überaus leuchtkräftigen Spitzentönen. Und auch die Fülle der Nuancen und die Breite des Ausdrucks besitzen bei dieser Wiedergabe eine überwältigende Klangfülle. Das fugatohaft durchgeführte Liebesbund-Motiv gipfelt in hellstem C-Dur.

In weiteren Rollen überzeugen noch Stine Marie Fischer als überaus wandlungsfähige Erda, David Steffens als dämonischer Fafner und Beate Ritter als gesanglich wahrhaft schwebender Waldvogel.

Jubel, Ovationen.
 

 

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