Den Rahmen des Abends bilden dabei Ausschnitte aus zwei klassischen geistlichen Werke des 18. Jahrhunderts: Joseph Haydns Sieben letzte Worte unseres Erlösers am Kreuze (1787) in ihrer ursprünglichen Orchesterfassung sowie Giovanni B. Pergolesis berühmtes Stabat Mater (1736), das der Komponist 26-jährig kurz vor seinem Tod vollendet hat. Als Gegenstück erklingt im Zentrum das Klavierquintett von Alfred Schnittke aus dem Jahr 1976 – ein zeitgenössisches Werk, das zwar
nicht für einen kirchlichen Anlass, aber als Gedenkkomposition an die verstorbene Mutter geschrieben wurde, und das als Inspirationsquelle für ein späteres Requiem zumindest leises religiöses Echo in sich trägt.
Die Choreographie allerdings wird sich diesen Entstehungskontexten ebenso wenig annähern, wie sie sich den Kompositionen unterzuordnen versucht. Während jegliche Illustration der liturgischen Texte und symbolische Ausdeutung der Musik vermieden werden soll, äußert sich das Verhältnis von Musik und Tanz viel eher unmittelbar und körperlich. Auch eine Auseinandersetzung mit konkreten Glaubenskulturen und -traditionen tritt unberührt hinter dem Unternehmen zurück, einen abstrakten und rein physischen Ausdruck für das Bedürfnis nach irdischer Verankerung einerseits und einer Sehnsucht nach Übersinnlichem andererseits zu finden.
Schließlich erscheint der Schwebezustand zwischen diesen beiden Extremen wie ein genereller Lebensbegleiter des Menschen, ganz unabhängig von seiner kulturellen Herkunft. In der tänzerischen Arbeit äußert sich dies – zuweilen bei verschobenen räumlichen Dimensionen – als ein konstantes
Wechselspiel zwischen Wagnis und Scheitern, Aufstand und Fall, Streben und Nachgeben, Erheben und Haltsuche. Die unermüdliche Anstrengung, Schwer- und Fliehkraft mit fast körperloser Leichtigkeit zu überwinden, wird dabei ein ums andere Mal von fremden Dynamiken, Mechanismen und
Absichten durchbrochen. Ausgehend von einer Analyse der ganz unterschiedlichen musikalischen Beschaffenheit, inspiriert von der gleichermaßen leiblichen und luziden Bildlichkeit italienischer Renaissancemalerei sowie über das Ausloten sämtlicher Grenzen und Möglichkeiten des Tanzes begegnet Simone Sandroni der ewigen Frage nach dem Sinn des Lebens vor allem in der Kunst selbst.
Der italienische Choreograph Simone Sandroni hat mit Beginn der Spielzeit 2015/16 als Nachfolger von Gregor Zöllig die künstlerische Leitung der Sparte Tanz am Theater Bielefeld übernommen. Sandroni ist Mitbegründer der Tanzkompanie Ultima Vez, mit der er von 1987 bis 1992 in Brüssel arbeitete. Ab 1993 brachte er dort mit seiner eigenen Gruppe Ernesto erste eigene Choreographien zur Uraufführung. 1996 gründete er in Prag gemeinsam mit Lenka Flory die bis heute bestehende internationale Tanzkompanie Déjà Donné, die seit 2006 ihren Hauptsitz in Perugia / Italien hat. Simone Sandroni kreierte mehr als zehn Tanzabende für Déjà Donné, mit denen er in 26 Ländern in Europa, Nord- und Südamerika sowie in Asien auf Tournee ging. Simone Sandroni ist außerdem international als Gastchoreograph tätig. So schuf er neue Stücke u. a. für das Nationaltheater Prag, das Festival de
Beweegin in Antwerpen, das Four Chambers Dance Project in Toronto, das Luzerner Theater, das Musikkonservatorium Bratislava, die Lublin Dance Company, sowie seit 2007 regelmäßig für das Bayerische Staatsballett in München. 2009 entwickelte er für das Tanztheater Bielefeld die Choreographie The Tempting Innocence und war am 7. und 8. März 2015 bei der Tanzgala Ein Fest mit Freunden vertreten. Neben seiner choreographischen Arbeit gibt er Workshops und
Meisterklassen in ganz Europa und den USA.
Musikalische Leitung Pawel Poplawski
Choreographie Simone Sandroni
Bühne und Kostüme Christa Beland
Dramaturgie Marie Henrion
Tänzer
Saori Ando, Tommaso Balbo, Joris Bergmans, Hsuan Cheng, Kenan Dinkelmann, Gianni Cuccaro, Noriko Nishidate, Sho Takayama, Johanna Wernmo, Elvira Zuñiga Porras
Gesang
Hasti Molavian, Nienke Otten // Anna Sophie Brosig, Rebekka Bigelmayr a. G.
Bielefelder Philharmoniker
Die nächsten Vorstellungen
10.04., 16.04., 28.04.,
01.05., 14.05., 22.05.,
28.05., 12.06., 09.07.16
Karten
0521 / 51 54 54
www.theater-bielefeld.de