In ihrem neuen Projekt beleuchtet Helena Waldmann die harten Lebensbedingungen der Näherinnen in Bangladesh – mit den Mitteln des Tanzes.
Während intensiver Probenwochen vor Ort hat die renommierte deutsche Tanzregisseurin die Mechanismen der Ausbeutung erkundet, zusammen mit einem Ensemble aus 12 Kathak-Tänzerinnen und -Tänzern aus Bangladesh. Dazu luden sie zwölf Näherinnen aus diversen Fabriken in Dhaka ein, als Paten Arbeiterinnen an den Grenzen der Belastbarkeit: 12 bis 16 Stunden pro Tag, 6 Tage lang. Im Akkord erhöhen sie immerfort die Stückzahlen unserer täglichen Kleidung in unzähligen Nadelstichen. Im gleichen Maß wächst aber auch der Druck auf die Künstlerinnen, die sich nicht mehr auf die Schönheit ihrer Traditionen zurückziehen dürfen, sondern genauso Kennzahlen zu erfüllen haben: hohe Publikumsauslastung zu Kleinstgagen bei starker Dauerkonkurrenz untereinander. Kunst als Reflexion über dieses Leben? Das Leben selbst wird optimiert. Das Ergebnis ihrer Recherchen und der gemeinsamen Arbeit, die in Bangladesh vom Goethe-Institut unterstützt wurde, wird am 26. November im Theater im Pfalzbau erstmals auf der Bühne zu sehen sein.
Zwischen Fabrik, Kunstbetrieb und Work-Out – Qualen durch Zahlen?
Auf den ersten Blick hat eine Näherin aus Dhaka wenig gemein mit einer Tänzerin in Europa, geschweige denn mit einem „normalen“ Arbeitnehmer in der westlichen Welt. Alles ganz weit weg? Mit einem handverlesenen Ensemble und unterstützt vom Kathak-Meister Vikram Iyengar, tauchte die Tanzregisseurin immer tiefer in die szenische und die Recherche-Arbeit ein. Bald war klar: Die Situation vor Ort ist deutlich komplexer, als sie gewöhnlich in den Medien dargestellt wird. Die Näherinnen arbeiten hart, aber gleichzeitig ermöglicht ihnen selbst der schlecht bezahlte Job in der Fabrik eine Eigenständigkeit, die sie im Dorf und im Familienverband nie hatten. Boykott-Aufrufe sind da äußerst kontraproduktiv. Und muss man sich im Gegenzug nicht fragen: Geht es der Tänzerin „bei uns“, die mit 35 ausgemustert wird und später von einer absehbar winzigen Rente lebt, tatsächlich besser? Kennen wir in unseren Jobs denn keine Ausbeutung und Selbstausbeutung, keinen Mangel an Wertschätzung und keine ständig wachsende Erwartung an unsere Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit? Dhaka ist überall!
November: Probenreportagen in Berlin möglich
Vor der Uraufführung im Ludwigshafener Theater im Pfalzbau hat Waldmann noch eine zweiwöchige Probenphase in Berlin angesetzt. Auf diese Weise kann sich das Ensemble in Deutschland akklimatisieren und sich unter besseren technischen Bedingungen auf die Premiere vorbereiten. Am 8. November starten die Proben in den EDEN***** Studios in Berlin-Pankow. Am 22. November brechen die Performer und das Produktionsteam zu den Endproben nach Ludwigshafen auf. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie von den Proben in Berlin oder Ludwigshafen berichten – bitten aber angesichts des sehr eng getakteten Zeitplans darum, uns frühzeitig Bescheid zu geben.
Helena Waldmann
Weltreisende in Sachen Tanz: Sogar gemessen an den Standards einer durch und durch international arbeitenden Szene dürfte ihr Aktionsradius kaum zu übertreffen sein. An der Schnittstelle von Regie, Choreografie und soziologischer Feldforschung produziert, tourt und engagiert sich Helena Waldmann weltweit – vom Nahen Osten über Lateinamerika bis nach Asien und Afrika. Ihre Themen reichen von der erschreckenden, anarchischen Freiheit der Demenz (revolver besorgen) über das lustvolle Spiel mit den Abhängigkeiten (BurkaBondage) bis hin zu den äußerlich eingeschränkten und doch innerlich so souveränen Frauen in islamischen Staaten (Letters from Tentland). Die Projekt-Ensembles, die sie in der Regel vor Ort castet, verleihen ihren Inszenierungen eine Authentizität und Eindringlichkeit, die zum Markenzeichen ihrer Arbeit geworden sind.
Made in Bangladesh
eine Produktion von Helena Waldmann und ecotopia dance productions
in Zusammenarbeit mit SHADHONA – A Center for the Advancement of Southasian Culture und dem Goethe-Institut Bangladesh
in Koproduktion mit Theater im Pfalzbau Ludwigshafen / Les Théâtres de La Ville de Luxembourg / Goethe-Institut Bangladesh / Burghof Lörrach / Forum Freies Theater Düsseldorf / Tollhaus Karlsruhe / Kurtheater Baden
gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes
Tanzregie: Helena Waldmann
Co-Choreographie: Vikram Iyengar
Tanz: Munmun Ahmed, Shammy Akter, Shareen Ferdous, Masum Hossain, Urme Irin, Mela Lamiya, Trina Mehnaz, Hanif Mohammad, Tumtumi Nuzaba, Bishwazit Sarkar, Shoma Sharmin, Labonno Sultana
Musikalische Leitung: Hans Narva, Daniel Dorsch
Video: Anna Saup
Licht: Herbert Cybulska
Kostüme: Hanif Kaiser, Judith Adam
Probenleitung: Anika Bendel
Dramaturgische Beratung: Dunja Funke
Probendokumentation Dhaka: Green Ink
Weitere Stationen 2014: Forum Freies Theater in Kooperation mit dem tanzhaus nrw Düsseldorf am 29. & 30. November 2014 / Tollhaus Karlsruhe am 3. Dezember 2014 / Les Théâtres de La Ville de Luxembourg am 6. Dezember 2014 / Burghof Lörrach am 9. Dezember 2014 / Kurtheater Baden (Schweiz) am 11. Dezember 2014 / Staatstheater Darmstadt am 14. Dezember 2014 / Tafelhalle Nürnberg am 16. Dezember 2014 / Jena Kultur/Theater in Bewegung im Theaterhaus Jena am 20. & 21. Dezember 2014
Ausblick 2015: Im Januar und Februar 2015 tourt das Stück durch Indien und Bangladesh und feiert Premiere in Dhaka. Im Mai und Oktober / November 2015 folgen weitere europäisch Stationen.
Mehr Informationen: www.ecotopiadance.com